Mythor - 084 - Stadt der Amazonen
Scida. »Sie müssen unter einem Zauber stehen.«
»Eine Hexe«, sagte Gerrek schrill. »Wie immer! Überall, wo böse Dinge geschehen und Männer zu Beuteldrachen verzaubert werden, ist eine Hexe im Spiel…«
Doch weder Scida noch Kalisse achteten auf sein Gezeter. Scida sah Kalisse betroffen an.
»Sosona«, stieß sie hervor. »Sosona ließ Mythor in der Nacht zu den Eaden bringen, und nun versucht sie zu verhindern, daß wir zu ihm gelangen! Sie muß bemerkt haben, daß sie in der Nacht beobachtet wurde…«
»Und jetzt hetzt sie mit ihrer Zauberei Burras Amazonen auf uns!« murmelte Kalisse.
»Dann gibt es nur eine Möglichkeit: wir müssen zur Sturmbrecher! Der Tempel läuft uns nicht davon, und ich bin sicher, daß man uns hindern wird, ihn zu betreten. Wir müssen es anders beginnen. Nur Burras Vertraute können Sosonas Treiben Einhalt gebieten.«
Eine Hexe in gelbem Mantel beobachtete aus der Ferne, wie die drei davoneilten. Ihre Anschläge waren fehlgegangen. Und was geschehen war, war nicht im Sinn der Zaem - so oder so. Sie hatte Anweisungen gehorcht, weil sie Burra verpflichtet war, aber wenn das nicht gelang, was versucht wurde, gab es für sie nur noch eine einzige Möglichkeit, und sie hoffte, daß sie sie nicht ergreifen mußte.
Ihre Schritte lenkten sie zum Traumpalast der Eaden.
*
Learges, der Okeazar… das Rysha-Horn, das der Todgeweihte Mythor mit raschem Griff entwand und davoneilte, um den Tempel mit der Schwarzen Mutter zu zerstören…
Die Erinnerungen stiegen wieder in Mythor auf. Unverändert war der leichte Druck der Eaden-Finger auf seiner Stirn. Sie tasteten nach seinem Geist, suchten etwas in ihm. Was?
Learges… Mythor fuhr herum, wollte nicht zulassen, daß der verletzte Tritone sich opferte. Es war unnötig, mußte irgendwie eine andere Möglichkeit geben… Mythor setzte zum Sprung an, um dem Tritonen zu folgen, ihn aufzuhalten, öffnete schon die Hände zum Griff…
Ein Schatten, eine Bewegung, die er aus den Augenwinkeln wahrnahm: Burra! Sie bückte sich, riß einen handlichen Steinbrocken vom Boden hoch!
Mythor wollte sich noch ducken, den Schlag abwehren. Doch er befand sich bereits in Bewegung, war zu langsam. Die Amazone traf. Schmerz stach durch seinen Kopf, und seine Knie gaben nach. Er sank zu Boden. Rote Schleier tanzten vor seinen Augen. Noch einmal versuchte er sich aufzurichten. Learges war schon fort, aber da waren noch andere Tritonen. Rebellen von den grundlosen Wassern… Burra schrie ihnen einen Befehl zu. Mythor wollte sich aufraffen, aber die Schwäche in ihm nahm überhand, und er stürzte in endlose Schwärze. Gerade noch, daß er die Hände der Tritonen an seinem Körper spürte, fühlte, wie sie ihn anhoben…
Er erwachte in jenem fensterlosen Raum, der sich in der Sturmbrecher befinden mußte. Und er war nicht in der Lage, sich zu bewegen. Er sah die Hexe Sosona, sah Burra, Gudun, Tertish und Gorma. Burra erteilte ihnen den Auftrag, ihn wohl zu behüten…
Er begriff, daß Hexenkraft ihn bannte. Dann folgte nur noch das lange Warten, unterbrochen von Schlafperioden. Schließlich dieser fensterlose Raum und die verhüllten Gestalten, die durch das Hexon ausgezeichnet waren…
Da lösten sich die Finger von ihm. Wild durch sein Bewußtsein stürzende Bilder verloschen. Die Traumlosen traten zurück. Nacheinander verließen sie den Raum.
Hatten sie erreicht, was sie wollten? Oder nicht? Er konnte es nicht sagen. Er wußte es nicht.
Er war hilflos, und das endlose Warten fand seinen Fortgang.
*
»Ihr drei«, sagte Scida fast drohend, »erfreut euch Burras besonderer Gunst. Ihr handelt als ihre Stellvertreterinnen, und ihr seid in ihrer Abwesenheit verantwortlich für das, was geschieht.«
Gorma schloß die schwarzen Augen. »Du sagst uns Dinge, die wir besser wissen als du«, sagte sie. »Was ist in dich gefahren? Was soll der schroffe Tonfall? Ihr seid nur Gäste auf der Sturmbrecher.«
Sie standen sich gegenüber. Gorma und Gudun hatten sich auf dem Deck des Kampfschiffs befunden, Tertish kam gerade aus dem Niedergang herauf. Scida, Kalisse und Gerrek hatte sich breitbeinig und angriffslustig vor den Burra-Kriegerinnen aufgebaut. Gerrek bog vorsichtshalber seine langen Schnurrbarthaare zur Seite, um sie nicht bei eventuellem Feuerspeien versehentlich zu verschmoren. Dann lockerte er mit lässigem Griff das Schwert in seiner Scheide.
»Was in uns gefahren ist?« schrie er erbost. »Pfeile! Pfeile wären um ein Haar in uns gefahren!
Weitere Kostenlose Bücher