Mythor - 087 - Der Hexenhain
Finsternis. Daraus holte mich irgendwann die keifende Stimme einer Trut zurück.
»Aufgewacht, Stink! Meine Herrin erwartet dich.«
Ich erhob mich wie im Traum. Ein Blick zu Tertishs Lager zeigte mir, daß die Amazone mit überkreuzten Beinen dasaß und zu wachen schien. Ihre Augen waren geöffnet, aber sie starrte durch mich hindurch in unergründliche Bereiche.
Es hätte mich auch gewundert, wenn Vilge nicht mit ihrer Magie Mittel und Wege gefunden hätte, Tertish zu täuschen.
8.
Vilges Gesicht war von einer leichten Röte überzogen, was sie sehr jugendlich erscheinen ließ. Dazu kam, daß der strenge Zug um ihren Mund wie weggewischt war.
»Ich habe mit dir zu sprechen, Mythor«, eröffnete sie mir. »Aber dabei kann ich Tertish nicht brauchen. Darum mußte ich sie überlisten.«
»Hätte dies nicht auch bis morgen Zeit gehabt?« fragte ich.
»Nein, morgen muß die Entscheidung gefallen sein.«
»Was für eine Entscheidung?«
»Ob du mein Gefährte werden willst, um an meiner Seite auf den Spuren Caerylls zu wandeln.«
Ich war über dieses Angebot nicht sonderlich überrascht, irgendwie hatte ich damit gerechnet. Und darum war ich um eine Antwort nicht verlegen.
»Dein Angebot ehrt mich, aber…«, begann ich. Doch sie gebot mir mit erhobenen Händen Einhalt.
»Sprich es nicht aus, du könntest es bereuen. Zuerst möchte ich dir meinen Fund zeigen, den ich von der Schattenzone mitgebracht habe, und dann nochmals einen Versuch mit dir machen. Dann erst sollst du dich entscheiden.«
Sie schritt vor mir den Gang aus matt leuchtenden Wänden in die Halle und von dort in den Innenhof zum Treppenhaus, von dem aus man das Kellergewölbe erreichen konnte.
Diesmal beeilte ich mich beim Überqueren des Innenhofs nicht sonderlich, sondern verließ mich auf Vilges Einfluß auf ihre Truten; sie belästigten mich auch nicht, aber ich hörte sie mit ihren Krallen an den Balken über mir scharren.
Wir überwanden die Treppe, Vilge ging vor mir durch den Vorraum und ließ mir dann den Vortritt in ihre Schatzkammer.
Ich blickte mich in dem Gewölbe um, weil Vilges Haltung mir andeutete, daß sie für mich eine Überraschung bereithielt. Warum sonst hätte sie mich auch mitten in der Nacht wecken lassen sollen? Und Tertish in einen magischen Schlaf zu wiegen, um sich heimlich mit mir treffen zu können, war auch kein geringes Wagnis. Wenn die Amazone zufällig aufwachte…
Da fesselte das seltsame Leuchten meinen Blick, das vom Tisch unter den Folterwerkzeugen ausging. Es gab sonst keine andere Lichtquelle, nicht einmal die Öllampe brannte.
»Was ist das?« fragte ich.
»Geh hin und sieh es dir an«, forderte mich Vilge auf.
Langsam schritt ich zum Tisch. Zuerst hatte ich nur einen weichen, verschwommenen Schein wahrgenommen. Aber beim Näherkommen löste sich dieser überirdische Strahlenkranz allmählich auf, und es bildeten sich Konturen heraus, die ein pyramidenförmiges Gebilde erkennen ließen. Die Aura schien gänzlich zu verschwimmen, als ich nur noch einen Schritt davor stand, zurück blieb ein Kristall von der Form einer Pyramide mit drei Kanten und vier dreieckigen Flächen.
Der Kristall war etwa fingerhoch, hatte scharfkantige Seiten und ebenmäßige, wie polierte Flächen, und doch wies er viele verschieden gekrümmte und ineinander verschlungene Linien auf, manche zu Spiralen gebogen, andere wiederum zu wirren Knäueln verknotet…
Er war durchscheinend und doch konnte man nicht deutlich sehen, was hinter ihm lag. Durch den Kristall gesehen, wirkte die Tischplatte gebrochen und verzerrt. Es war noch immer hell genug in dem Gewölbe, obwohl, aus der Nähe betrachtet, kein sichtbarer Schein von dem Kristall ausging.
»Was sagst du, Mythor?« fragte Vilge erwartungsvoll.
»Dieser Edelstein muß sehr wertvoll sein«, antwortete ich, weil mir nichts Passenderes einfiel. »Ist das der Fund, von dem du sprachst? Von wo an der Schattenzone hast du ihn?«
»Ich habe diesen Zauberkristall nicht wirklich gefunden, sondern mußte um ihn kämpfen«, sagte Vilge. »Ihn zu erobern, hat mich sehr viel Schweiß gekostet und das Blut von einem halben Dutzend Kannibalen aus dem Land der Wilden Männer. Die Vorgeschichte ist lang, ich will dich nicht damit aufhalten. Es genügt für dich zu wissen, daß mir verschiedene Berichte zu Ohren kamen, in denen die Rede von diesem Kristall war. Es ging einstimmig daraus hervor, daß er im Besitz eines Kannibalenstammes im Land der Wilden Männer sei, die damit ihre
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