Mythor - 087 - Der Hexenhain
Landriß schweifen. In der breiten Wasserstraße ankerten Dutzende von Schiffen verschiedener Größe. Ihre bunten Segel mit den Wappen, von denen keines dem anderen glich, boten einen fast heiteren Anblick. Sie sahen wie das Spielzeug von Riesenkindern aus. Dazu kamen noch die Luftschiffe, die entweder wasserten, oder an den Steilufern verankert waren. Es gab viele darunter, die von der Größe der Donnerwolke waren. Auch ihre Hüllen und Gondeln waren phantasievoll bemalt und manchmal Tieren und Fabelwesen nachempfunden.
Das Bild erinnerte mich urplötzlich an einen Traum, der schon lange zurücklag und den ich in einer anderen Welt gehabt hatte.
Es war in Gorgan gewesen, im Hochmoor von Dhuannin, als die Kämpfer der Lichtwelt auf die Mächte der Finsternis prallten, die durch die Dämonenpriester der Caer vertreten waren. Damals hatte ich inmitten dieses Chaos die Vision eines gewaltigen Schiffes gehabt, das durch seltsame Gebilde trieb, die zu schweben schienen. Und von Bord dieses Schiffes hatte mich Fronja angeblickt und nach mir gegriffen… Heute mußte ich mich fragen, ob es sich bei diesem Gefährt nicht um ein Luftschiff gehandelt hatte. Würde ich Fronja an Bord eines solchen begegnen, oder hatte diese Vision nur symbolischen Gehalt gehabt? Stammte der Traum von Fronja? Damals war auch der Dhuannin-Deddeth geboren worden, der mir lange nachjagte, bevor ich ihn mit der Spiegelmagie der Rafher hatte abwehren können. Jetzt bedrohte er Fronja…
Ich mußte mich zwingen, in die Gegenwart zurückzukehren, an den Alosa-Riß, zu Zaems gewaltiger Flotte, die hier ankerte.
»Wenn Zaem so göttlich ist, wozu braucht sie dann diese Heere?« fragte ich. »Warum bedient sie sich der Gewalt, um die Probleme der Welt zu lösen?«
»Wir sind zu klein für solch große Gedanken«, sagte Tertish.
Ich blickte sie von der Seite an. Seit sie zu einer Todgeweihten geworden war, hatte sie sich stark gewandelt, und ich fragte mich, in welchem Maß sie noch Kriegerin war.
»Eine von deinem Stand sollte es sich nicht so leicht machen, Tertish«, sagte ich. »Gerade weil du mit dem Leben abgeschlossen hast, müßtest du in verstärktem Maß darüber nachdenken.«
»Du hast recht, das tue ich«, gab Tertish zu. »Aber das ändert nichts an meiner Gesinnung. Ich würde zu einer Ehrlosen wie Kila Halbherz, wenn ich alle früheren Werte verleugnete. Ich bleibe stark und stehe dazu, das ist die mir auferlegte Prüfung.«
Es hatte keinen Zweck, Tertish umzustimmen zu versuchen. Sie würde ihre Einstellung nicht ändern, auch wenn sie einsah, daß vieles falsch war, an das sie glaubte.
Wir kamen zu einem Flußlauf, der sich verzweigte und sich in vielen rauschenden Wasserkaskaden in die Tiefe des Alosa-Risses ergoß. Wir sprangen von Fels zu Fels, und auf der anderen Seite des Flusses angekommen, beschloß ich, ein Bad zu nehmen.
Tertish hatte nichts dagegen, aber sie wich nicht von meiner Seite. So blieb mir nichts anderes übrig, als mich in ihrer Gegenwart zu entkleiden. Sie beachtete mich nicht, seit sie am Letzten Ort gewesen war, schien sie geschlechtslos zu sein.
Ich kletterte eine Felsklippe hinunter, bis ich zu einem Becken kam, in das sich die Wasser des Flusses aus großer Höhe ergossen. Das Wasser war kalt, aber es erfrischte. Ich schwamm eine Weile im Kreis, tauchte unter den Wasserfall und genoß das belebende Naß, bis mir die Glieder vor Kälte steif wurden. Dann erst kletterte ich ans Ufer. Dort war Tertish mit meinen Kleidern aufgetaucht und überreichte mir stumm meinen Umhang. Ich wickelte mich darin ein und rieb mich damit ab.
Plötzlich fiel ein Schatten auf uns. Ich blickte hinauf und sah ein großes Vogelwesen über uns kreisen.
»Vilge läßt uns von ihren Truten beobachten«, stellte ich fest.
»Die Hexe gefällt mir nicht«, sagte Tertish. »Sie führt etwas im Schilde.«
»Ich könnte mir nicht vorstellen, was«, sagte ich, während ich mich ankleidete.
»Unterschätzt du deine Bedeutung wirklich, oder untertreibst du absichtlich?« fragte Tertish. »Du bist ein Mann aus Gorgan - vermutlich der einzige in ganz Vanga.«
»Ich schätze meine Lage schon richtig ein«, erwiderte ich. »Der Zaem war ich ein solcher Dorn im Auge, daß sie mich zum Tode verurteilte. Burra war ich einen Verrat an ihrer Zaubermutter wert, und ich bin ihr so kostbar, daß sie mir ihre drei besten Amazonen als Bewacherinnen zur Seite gestellt hat. Und auch Vilge scheint große Pläne mit mir zu haben. Aber soll ich
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