Mythor - 087 - Der Hexenhain
Opfer vom Leben in den Tod beförderten. Ich ließ mich von ihnen gefangennehmen und sogar auf den Opferstein bringen, nur um an den Kristall heranzukommen. Sie hatten ihn an einem Opferbeil befestigt und wollten mich damit töten. Doch ich kam ihnen mit einem Blendzauber zuvor, nahm den Kristall an mich und floh.«
»Hat der Kristall Caeryll gehört?« fragte ich, die glatten und ebenmäßigen Flächen betrachtend, die gleichzeitig den Eindruck erweckten, als seien sie mit Rillen und Einkerbungen überzogen. Und in ihn eingeschlossen war ein unglaublich zartes Gespinst, ein Netzwerk von Linien.
»Sicher ist das nicht«, antwortete Vilge. »Aber die Schattenzone hat den Zauberkristall ausgestoßen, obwohl er nicht aus ihr stammen kann, denn er ist ein Werkzeug der Weißen Magie. Er kann noch nicht lange im Besitz der Kannibalen gewesen sein.«
»Was kann man mit diesem Kristall bewirken?« fragte ich. »Warum mißt du ihm so große Bedeutung bei?«
»Dieser eine Kristall besitzt keine große Macht, er ist nur ein Teilstück eines größeren Ganzen«, erklärte mir Vilge. Sie nahm einen ihrer Zauberringe vom Finger und wies auf den eingefaßten Kristall. »Sieh her! Fällt dir nicht die Ähnlichkeit zu dem Pyramidenkristall auf?«
»Ja«, sagte ich, »die Flächen des kleinen Kristalls sind ebenfalls dreieckig.«
»Sehr richtig«, stimmte sie zu. »Und der Kristall meines Ringes hat insgesamt zwanzig solcher dreieckiger Flächen. Wenn man nun zwanzig solcher Pyramidenkristalle hat und sie mit den Flächen aneinanderlegt, dann bekommt man ebenfalls einen solchen Kristall mit zwanzig Flächen, nur in viel größerer Ausführung. Und entsprechend stärker - unvorstellbar stärker - ist seine magische Kraft. Kannst dir einen solch großen Zauberkristall vorstellen, Mythor? Begreift dein Verstand, welche Macht in ihm wohnen würde? Nein, ich glaube nicht.«
»Doch«, sagte ich mit belegter Stimme. Ich hatte im Geist zwanzig solcher kristallenen Pyramiden zusammengestellt und dabei ein kürbisgroßes Gebilde entstehen lassen, wie ich es schon einmal gesehen hatte. Mir schwindelte bei der Erinnerung daran.
»Ich habe einmal einen solchen Kristall besessen«, brach es aus mir hervor. »Ich kannte seine Bedeutung, wußte, was er darstellte, aber ich konnte vermutlich seinen Wert nicht richtig ermessen, denn sonst hätte ich ihn besser behütet als mein Augenlicht - mein Leben.«
»Du sprichst wirres Zeug, Mythor«, stieß Vilge hervor. »Wer einen solch kostbaren Schatz besitzt, der gibt ihn nicht wieder her.«
»Es kann keinen Irrtum geben.« Ich war jetzt ganz sicher. Das Bild, das Vilge in meinen Geist gezaubert hatte, stimmte völlig mit dem überein, das ich in meiner Erinnerung von DRAGOMAE hatte. Ich fuhr fort: »Ich habe diesen Zauberkristall, dieses Zauberbuch der Weißen Magie, aus dem siebten Fixpunkt des Lichtboten mitgebracht. Doch beim Durchqueren der Schattenzone verlor ich das DRAGOMAE und war froh, das nackte Leben gerettet zu haben. Für mich besteht nun kein Zweifel mehr, daß dieser Pyramidenkristall einer von zwanzig Teilen des DRAGOMAE ist.«
»Ich staune immer mehr über dich, Mythor«, sagte Vilge ehrfürchtig. »Weißt du, daß du die Allmacht in Händen hattest? Mit diesem Kristall hättest du die Welt beherrschen können!«
»Wenn es so ist, kann ich nur sagen, daß das Schicksal weise gehandelt hat, als es mir das DRAGOMAE wieder wegnahm«, erwiderte ich. »In meiner Unwissenheit hätte ich die Welt in Flammen legen können. Jetzt wäre ich reifer, und doch wird mir ganz bange bei dem Gedanken, ein solches Machtmittel zu besitzen.«
»Unsinn!« rief Vilge aus. »Mit einer klugen und erfahrenen Beraterin an deiner Seite würdest du diese Macht schon richtig zu nutzen wissen. Es ist noch nicht zu spät, Mythor. In Vanga wissen nur wir beide, daß weitere neunzehn Teile solcher Pyramiden-Kristalle existieren. Ein Wort von dir, und ich mache mich mit dir auf die Suche - und wenn es sein muß, sogar in das Chaos der Schattenzone. Und ich bin gewiß, daß wir eines Tages das DRAGOMAE vollständig zusammensetzen werden. Dann wird uns die Welt gehören - und wir können selbst die Schattenzone beherrschen. Wir werden Caerylls Geheimnis lösen…«
»Ich strebe nicht nach solcher Macht«, unterbrach ich ihren Redefluß. Ich bereute es längst, ihr vom DRAGOMAE erzählt zu haben. Aber ich konnte auch nicht wissen, welches Feuer ich damit in ihr entfachte. »Vielleicht bin ich eines Tages bereit,
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