Mythor - 109 - Der Götterbote
Gesichter der Amazonen verriet, daß sie wohl ähnlich dachten und empfanden wie Scida. Da sie aber erheblich jünger waren, fiel für sie Scidas Hauptgrund fort – die Sehnsucht nach einem geruhsamen Leben.
»Glaubst du, daß du auf Carlumen ein Mittel finden wirst, das mir meine alte Gestalt zurückgibt?«
Mythors Charakter ließ auf diese offene Frage nur eine offene Antwort zu.
»Ich hoffe es, Gerrek. Ich kann es dir nicht versprechen, und ich gestehe, daß ich die Aussichten für gering erachte.«
Gerrek zuckte mit den Schultern.
»Da hast du deine Antwort, Mythor.«
Es wäre leichter gewesen für Mythor, hätte es sich um Feinde gehandelt, um Unzuverlässige, denen er leichten Herzens Lebewohl gesagt hätte. Dies aber waren Freunde, und er wußte, daß sie ihm auch weiterhin folgen würden, wenn er es wünschte. An ihrer Zuverlässigkeit gab es nichts zu rütteln, auch nicht an ihrer Einsatzbereitschaft. Aber es verdroß Mythor zu wissen, daß sie ihm nun halbherzig folgten.
Mit Sicherheit kam es bald wieder zu einem Kampf, einem Gefecht auf Leben und Tod. Möglicherweise gab es auch hier wieder Opfer. Daß die Gefährten dann aufopferungsvoll kämpfen würden, stand außer Zweifel. Starb aber einer von ihnen, dann blieb auf Mythors Schultern eine entsetzliche Last zurück – das Bewußtsein, daß er einen Gefährten verloren hatte, der nicht an ihn und seine Sache glaubte.
Ein Rundblick zeigte, daß dieser Anflug von Niedergeschlagenheit fast jeden ergriffen hatte.
»Ich werde bei dir bleiben, bis Carlumen erreicht ist. Dann aber werde ich meiner Bestimmung folgen.«
Tertish hatte so gesprochen, und das Gesicht der Todgeweihten zeigte eine Entschlossenheit, die eindeutig war.
Heeva und Lankohr sahen sich verstohlen an. Die zierlichen Aasen waren in der Schattenzone mehr als andere gefährdet; daß sie sich zu ihrem Volk zurücksehnten, lag auf der Hand.
»Ich werde weiterziehen«, sagte Mythor nach einer längeren Pause. »Ich stelle es jedem frei, mir zu folgen oder nicht.«
Er wußte, daß er zu einem niederträchtigen Mittel griff – nur in der geschlossenen Gruppe hatten die Gefährten eine Überlebenschance. Der Versuch, einzeln in die Gefilde Vangas zurückkehren zu wollen, war einem Todesurteil gleichzusetzen. Die Freiheit, die Mythor anbot, war nur in seinen Worten enthalten – in der Wirklichkeit gab es sie nicht.
»Geh voran!« sagte Fronja lächelnd.
Wenigstens an ihrer Treue brauchte Mythor nicht zu zweifeln. Er sah sie aufmerksam an. Hatte dieses Lächeln nicht einen seltsamen, schwer deutbaren Anflug? Verbarg Fronja einen Gedanken hinter der glatten Stirn, den sie jetzt noch nicht zu äußern wagte?
Mythor begriff, daß er dabei war, sich mit solchen Gedankenquälereien selbst zu zermürben.
Die Zukunft mußte zeigen, was aus der Gruppe wurde. Ein paar ruhigere Tage der Erholung konnten die angeschlagene Moral wieder neu herstellen und einen Sinneswandel herbeiführen – so hoffte Mythor, als er nun wieder den Weg unter die Füße nahm.
Immer tiefer ins Dämonenreich, Carlumen entgegen.
Siebentag hielt sich an Mythors Seite und sah ihn ab und zu prüfend an.
Mythor erwiderte den Blick. Siebentag antwortete mit einem Lächeln.
»Es wird immer schwieriger werden«, sagte er halblaut.
»Ich rechne damit«, antwortete Mythor. »Aber ich bin zuversichtlich, daß wir auch dieses Problem lösen können.«
Siebentags Gesichtsausdruck war rätselhaft. Es ließ sich aus seiner Miene nicht ablesen, was er dachte.
Ein erschreckender Gedanke beschlich den Mann von Gorgan.
Waren die Freunde tatsächlich wankelmütig geworden – oder hatte sie jemand so gemacht?
Für Mythor war nicht zu unterscheiden, ob die offenkundigen Empfindungen seiner Gefährten von innen heraus kamen oder ihnen auf magische Art eingeflößt waren. An den Auswirkungen änderte das einstweilen nichts – wohl aber an der Vorgehensweise.
War diese Einstellung echt, so mußte Mythor sie berücksichtigen. Dann allerdings hatte er auch Möglichkeiten, auf diese Geisteshaltung einzuwirken. Er konnte versuchen, die Freunde zu überzeugen.
Waren sie aber magisch gebannt, dann halfen alle Versuche, sie zu überreden, nicht das geringste; magische Beeinflussung ließ sich so nicht abstellen.
Wer aber konnte die Freunde solcherart verändern? Mythor fand auf diese Frage keine Antwort.
Er sah nur das eine – daß er den Urheber dieses Banns finden und daran hindern mußte, die Freunde auch weiterhin umzustimmen.
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