Mythor - 117 - Herrscher im Unsichtbaren
Sucht die hübschesten Mägde heraus. Das Bild reizt mich – die Schönen und die Bestien!«
»Sie werden mir keine Schande machen«, versetzte Mythor höflich. In Fronjas Gesicht war noch immer Verwunderung zu lesen. Jetzt bemerkte es auch Orphal, und das wiederum verwunderte ihn.
Bastraph hatte ein Gefühl der Beklemmung. Es kam ihm vor, als würden hier Spielkarten reihum verteilt und weitergegeben, ohne daß auch nur einer der Beteiligten wußte, wer das Bild des Herrschers und wer den Henker ziehen würde. Jeder suchte jeden hereinzulegen, auszuhorchen und zu übertölpeln.
»Was führt dich her, Mythor?«
Der Angesprochene machte eine matte Geste.
»Langeweile, Lebensüberdruß – und natürlich mein Wunsch, deine Schatzkammern weidlich zu plündern. Für klingende Münze vermögen meine Tiere allerlei artige Kunststücke vorzuführen.«
»Und du glaubst, du könntest einen Teil meiner mühsam erworbenen Schätze davonschleppen?«
»Ich werde es zumindest versuchen, Herrscher. Zurückgekehrt, werde ich das hohe Lied deiner Großzügigkeit und Freigebigkeit singen.«
»Aber nur in solchen Landstrichen, die der Herrscher bislang von der Ehre seines Besuches ausgenommen hat – andernfalls würde man dir schwerlich, glauben.«
Orphal verschluckte sich. Bastraphs gleichmütig-bissiger Kommentar hatte ihn völlig unvorbereitet getroffen.
Im Saal brandete Gelächter auf, und nachdem Orphal seinen Hustenanfall beendet hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als in das allgemeine Gelächter einzustimmen. Der Seitenblick aber, der Bastraph traf, verhieß Schlimmes.
Den aber kümmerte das wenig. Bastraph wußte, daß die Zeit der Entscheidung gekommen war – es mußte etwas geschehen, und das schloß zu jedem Augenblick Todesgefahr ein. In dieser Notlage war Bastraph jedes Mittel recht.
Unterdessen waren einige leichtgeschürzte Mägde in den Saal getreten. Sie hatten arge Mühe, die schweren Schüsseln zu schleppen und gleichzeitig den Griffen der männlichen Gäste auszuweichen, aber es gelang ihnen, die Schüsseln vor den fünf Tieren abzusetzen.
Mythor klatschte nur einmal kurz in die Hände, dann begannen die Tiere zu fressen. Der Bärenköpfige schlug die Pranken in ein riesiges Stück Braten und spießte das Fleisch an seinen Krallen auf. Dann setzte er sich auf die Hinterbeine und begann genußvoll an dem Fleisch herumzunagen.
»Wahrhaftig«, staunte Orphal. »Sie haben bessere Manieren als gewisse Gäste von mir.«
Wie zur Bestätigung seiner Worte kippte in diesem Augenblick einer der Höflinge volltrunken vornüber und blieb mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden liegen.
»Schafft ihn heraus – oder sollen wir ihn von den Bestien zerreißen lassen?«
»Warte, bis er wieder nüchtern ist«, schlug Bastraph vor. »Und dann laß ihn die Bestien zerreißen.«
Wieder erhob sich Gelächter. Es entging Orphal nicht, daß Bastraph mit seinen Bemerkungen immer wieder Orphals Absichten durchkreuzte und ihn zwang, der von Bastraph angesteckten Laune der Gesellschaft zu folgen. Früher oder später würde Orphal sich dieses Spiel nicht mehr bieten lassen.
»Du hast uns noch nicht verraten, woher du kommst, Mythor!«
Orphal sprach mit sanfter, lockender Stimme. Dabei schielte er ein wenig zu deutlich auf den Pokal in Mythors Hand. Wie alle anderen Nahrungsmittel enthielt auch dieser Trunk mit Sicherheit irgendeinen magischen Sud, der die Sinne erhitzte.
Mythor machte eine weit ausholende Armbewegung.
»Von nebenan«, sagte er. »Dein Reich hat viele Nachbarn.«
»Und Freunde«, ergänzte Bastraph giftig.
Währenddessen sprach Mythors Menagerie den Speisen eifrig zu. Bastraph war sehr gespannt, was aus der Sache wurde – auf Tiere wirkten Orphals Gebräue in der Regel nicht. Da es sich bei Mythors Begleitern aber um verzauberte Menschen handelte, konnten die Liebestränke dort sehr wohl eine gewisse Wirkung entfalten.
Einstweilen sah es noch possierlich aus, wenn die plumpen Geschöpfe ihre Schädel an den langen Beinen der Mägde rieben; den Gästen gefiel der Spaß, nur die Mädchen machten ein wenig ängstliche Gesichter.
»Ein prachtvolles Gebräu«, sagte Mythor. Er stürzte den Inhalt des Pokals in einem Zug hinunter und hielt den leeren Goldbecher einer der Schankmägde hin.
Über Orphals Gesicht flog ein boshaftes Grinsen, das sich noch verstärkte, als Mythor dem ersten Trunk einen zweiten nicht minder kräftigen Zug folgen ließ.
Bastraph begriff gar nichts mehr.
Orphal
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