Mythor - 129 - Fluch über Nykerien
so tief, daß ich ein gegen mich gezücktes Messer nicht bemerkt hätte. An diesem Hof mußte man auf alles gefaßt sein.
»Bei Nadomir«, stieß der König hervor. »Bescheidenheit ist nicht deine Stärke, scheint es.«
»Ich weiß, was ich wert bin«, antwortete ich und deutete einen neuerlichen Kratzfuß an. »Und ich weiß, was anderen lieb und wert ist.«
Auf mein Zeichen hin traten die Sklaven hinzu und stellten die beiden Amphoren vor Volcar ab. Die Augen des Herrschers funkelten begierig.
»Bei allen Lichtgöttern – wo hast du diesen Wein her, Schlingel!«
Ich lächelte höflich.
»Dieses Geheimnis werde ich nicht preisgeben, es könnte mich den Kopf kosten.«
»Es zu bewahren, kann nicht minder gefährlich sein. Schelm, gestehe es, du willst mich täuschen; das Siegel ist nicht echt.«
»Ich bürge dafür mit meinem Leben«, versetzte ich. »Das kostbarste Gut, das ich habe, und das einzige, das mir nicht feil ist.«
Volcar fand die Bemerkung unerhört witzig und schüttelte sich vor Lachen. Eine prunkvolle Zeremonienkette vollführte dabei auf seinem stattlichen Bauch wunderliche Tänze.
»Du meinst es also ernst?« fragte Volcar. »Nun, wir werden sehen, ob du die Wahrheit gesprochen hast – wenn nicht, Necron, werde ich deinen ärgsten Feind bitten, deine Todesart zu bestimmen.«
»Ich habe keine Feinde – sie sind alle tot«, antwortete ich ruhig, und Volcar schüttelte sich abermals vor Lachen.
Dann aber konnte er seine Gier nicht länger zügeln. Er öffnete das Siegel, brach den Tonverschluß auf und schöpfte sehr behutsam von dem Öl, mit dem die Öffnung der bauchigen Amphore verschlossen war. Dann erst ließ er sich eine neue Kelle reichen und füllte seinen Pokal mit dem stark duftenden hellen Wein.
»Hm«, machte Volcar und verdrehte die Augen. »Du könntest recht haben, Necron.«
Er nahm einen Probeschluck. Zum ersten Mal sah ich ihn angespannt, nur auf eine Sache sein Augenmerk richtend. Als er die Augen wieder öffnete, wirkte er sehr klar und vernünftig.
»Du hast recht, Necron«, sagte er anerkennend. »Du hast etwas vollbracht, was noch keinem gelungen ist. Dies ist wirklich und wahrhaftig Wein aus dem Keller von Orphal, dem König des Reiches Nebenan.«
Durch die Menge ging ein Raunen. Orphal hatte natürlich auch Nykerien seine Besuche abgestattet und auch von hier die besten Gaben des Landes mitgenommen. Er war allerdings nur sehr selten gekommen.
»Niemand außer dir hätte das geschafft«, sagte Volcar nach einem weiteren Schluck von dem Wein. Es war ihm anzusehen, daß er davon keinen Tropfen einem anderen abgeben würde.
»Oho«, ertönte eine Männerstimme aus dem Hintergrund. Ich drehte mich um.
4.
Ich zupfte Sadagar am Ärmel.
»Laß das lieber sein«, flüsterte ich eindringlich. »Das gibt Ärger.«
»Der Bursche hat mir ein zu großes Mundwerk, Aeda«, gab Sadagar zurück. Er riß sich los. »Und ich werde es ihm stopfen.«
Sein Ungestüm war mitunter erschreckend, sein Leichtsinn nicht minder. Er vertraute viel zu sehr darauf, daß er sich in jeder nur denkbaren Lage auf sein Glück verlassen konnte. Ich ahnte, daß er damit eines Tages eine üble Niederlage würde einstecken müssen.
Ich drängte mich durch die Schar der Gäste nach vorn, um in Sadagars Nähe sein zu können. Vielleicht konnte ich ihn ein wenig mäßigen.
Über Volcars Gesicht flog ein Lächeln.
»Das nenne ich ein Zusammentreffen«, sagte der König. »Sadagar und Necron, die beiden Männer in meinem Reich, denen alles zu gelingen scheint.«
Erst jetzt sah ich Necron aufmerksamer an. Er war entschieden jünger als Sadagar, ein schmucker Mann – und offenkundig sehr erfolgreich. Ruhig und selbstbewußt stand er vor Volcar, und er schien sich auch nicht vor Sadagar zu fürchten.
»Es wäre lustig, herauszufinden, wer von euch beiden der Bessere ist«, sagte Volcar nachdenklich. Er schlürfte von dem Wein und schloß für kurze Zeit verzückt die Augen.
»Das ließe sich herausfinden«, sagte Sadagar. »Ich nehme die Herausforderung an.«
»Ich bin Händler, nicht Spieler«, sagte Necron erhobenen Hauptes. »Ich erarbeite mir mein Geld, ich gewinne es nicht.«
»Ich weiß, wieviel Glück ein guter Händler braucht«, antwortete Sadagar. »Und du solltest wissen, wieviel Arbeit es macht, als Spieler sein Brot zu verdienen.«
Die beiden Männer sahen sich an, und ich hatte den Eindruck, daß sie sich wechselseitig ernst nahmen. In Sadagars Fall kam das einem Wunder gleich
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