Mythos Übergewicht: Warum dicke Menschen länger leben. Was das Gewicht mit Stress zu tun hat - überraschende Erkenntnisse der Hirnforschung (German Edition)
auf. Darüber lässt sich nur spekulieren, aber es gibt den konkreten Verdachtsmoment, dass die bariatrische Chirurgie zumindest derzeit in Deutschland nicht die Absicht hat, sich einer derartigen Prüfung zu unterziehen. Kehren wir dazu noch einmal zu unserer Selbsthilfegruppe vom Anfang des Kapitels zurück. Dr. C. ließ die Teilnehmer ein Formblatt unterschreiben; allerdings nicht nur, um das Ergebnis der Sitzungen protokollarisch zu dokumentieren. Mit der Unterzeichnung dieses Formblatts hat sich der medizinrechtliche Status eines jeden Mitglieds der Gruppe radikal gewandelt. Jeder, der unterschrieben hat, dokumentiert damit für die Zukunft, dass seine Adipositas austherapiert ist. Und damit ist er kein Patient mehr, der für die gängigen Behandlungsverfahren in Frage kommt, sondern ein Palliativpatient. Also ein Patient, bei dem die Behandlung nicht mehr Besserung beziehungsweise Heilung verspricht, sondern nur noch Linderung. Die meisten Menschen kennen diesen Begriff aus der Onkologie: Krebspatienten erhalten starke Betäubungsmittel, um unerträgliche Schmerzen zu lindern. Das Risiko der Betäubungsmittelsucht ist hier irrelevant, weil die Patienten nicht mehr lange zu leben haben.
Juristisch betrachtet befinden sich die Teilnehmer der Adipositas-Selbsthilfegruppe, die das Formblatt unterschrieben haben, im gleichen Status wie die austherapierten Krebspatienten. Als Palliativpatienten können sie eine bariatrische Operation als letztes Mittel zur Linderung ihrer Adipositas in Anspruch nehmen. Eine Nutzen-Risiko-Abwägung wie bei einem normal therapierbaren Patienten ist hier nicht mehr vorgesehen. So bewerten das nämlich auch die Krankenkassen, die die Operation genehmigen müssen; was sie bei Adipositas nur in seltenen, sehr schweren Fällen tun. Bei einem austherapierten Palliativpatienten ist die Bewilligung allerdings sehr viel leichter durchzusetzen. So werden die Selbsthilfegruppe und das unterschriebene Formblatt am Ende zu einem Ticket auf den Tisch eines bariatrischen Chirurgen. Zwischen dem Patienten und dem Eingriff steht jetzt nur noch seine Entscheidung – lasse ich mich operieren oder nicht.
Derartige Selbsthilfegruppen sind übrigens in deutschen Kliniken kein Einzelfall. Immer öfter werden auf diese Art Patienten für bariatrische Operationen gewonnen oder man kann auch sagen »rekrutiert«. Die Verdachtsmomente, dass diese Eingriffe den Betroffenen bei Weitem mehr Schaden als Nutzen bringen, sind offenkundig. Ihnen nicht schnellstmöglich wissenschaftlich auf den Grund zu gehen, ist gefährlich und fahrlässig. Und die Gefahr, dass nicht nur immer mehr, sondern auch immer jüngere Menschen durch eine derartige Operation für den Rest ihres Lebens geschädigt werden, nimmt in dramatischem Ausmaß zu. In den USA haben die Befürworter der Methode vor dem Hintergrund der »epidemieartigen Zunahme von Übergewicht« in der Bevölkerung eine sehr bedenkliche gesundheitspolitische Diskussion in Gang gebracht: Warum nicht – so ihr Vorschlag – Kinder operieren, bevor sie richtig dick werden?
Kinder zuerst
»Childhood adversity« ist ein klinischer Sammelbegriff aus der anglo-amerikanischen Stressforschung, der sowohl traumatische Erfahrungen wie Tod eines Elternteils, Trennung der Eltern, Missbrauch und Vernachlässigung während der Kindheit erfasst als auch ungünstige soziökonomische Bedingungen (Armut, Aufwachsen in Stadtvierteln mit hohem Kriminalitätsanteil usw.).
1997 betritt ein schmaler fast elfjähriger Junge mit Brille die literarische Welt. Harry Potter wird von seiner Schöpferin Joanne K. Rowling im ersten Band als ein Kind vorgestellt, das seine Eltern verloren hat (angeblich bei einem Autounfall) und das nun das ungeliebte und ziemlich perspektivlose Dasein eines Waisenkindes im Hause seiner feindseligen Tante Petunia Dursley, ihres tyrannischen Ehemannes und ihres gehässigen Sohnes fristen muss. Als Ausdruck der Geringschätzung haben die Dursleys den zehnjährigen Harry in einer Abstellkammer unter der Treppe einquartiert, in die gerade so eben ein Bett hineinpasst. Zu diesem Zeitpunkt weiß er noch nicht, dass sich sein Leben schon bald – nämlich an seinem elften Geburtstag – dramatisch verändern wird.
Die sieben Bände der Harry-Potter-Reihe und die Verfilmungen wurden zu einem beispiellosen Welterfolg. 500 Millionen-mal wurden die Bücher bisher verkauft. Der durchschlagende Erfolg der Harry-Potter-Romane hat viele Gründe. Einer ist ganz sicher der
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