Mythos Übergewicht: Warum dicke Menschen länger leben. Was das Gewicht mit Stress zu tun hat - überraschende Erkenntnisse der Hirnforschung (German Edition)
in der Fachsprache Selektions- oder Berkson-Bias nennt, nicht auf. Aus den hier angeführten Gründen werden nicht-randomisierte Studienergebnisse beziehungsweise Verfahrensweisen in der Wissenschaft nur eingeschränkt anerkannt.
Aufklärung durch den Arzt? Wie Behandlungsergebnisse aufpoliert werden
So weit dieser kleine Exkurs in das Thema »Studiendesign«, der mir an dieser Stelle unumgänglich erscheint, weil es für den Laien unmöglich ist, den Unterschied zwischen dem Ergebnis einer randomisierten Studie und einer wenig aussagekräftigen nicht-randomisierten Studie zu erkennen. Der Patient muss sich hier auf die Auskünfte der Ärzte oder Fachverbände verlassen können; sie müssen überwachen, inwieweit Studienergebnisse tatsächlich Behandlungserfolge und mögliche Risiken abbilden. Bedauerlicherweise ist diese Offenheit und Ehrlichkeit im Umgang mit Patienten nicht selbstverständlich.
Das belegt leider auch die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie , des zuständigen nationalen Fachverbands, zur derzeitigen Studienlage. Die Fachgesellschaft hat einen Leitlinien-Ausschuss gebildet, der auch die Deutsche Adipositasgesellschaft , die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin zurate gezogen hat. In einer 60 -seitigen Leitlinie »Chirurgie der Adipositas«, die als offizielle Handlungsanweisung für Ärzte gedacht ist, werden zahlreiche Studien zu diesem Thema aufgeführt. Den einzelnen Studien werden so genannte »Evidenzklassen« zugeordnet, die angeben, wie groß die wissenschaftliche Verlässlichkeit ist, dass die darin getroffenen Aussagen als gesichert angesehen werden können. An der entscheidenden Stelle der Leitlinie, wo es um die großen Arbeiten zur Sterblichkeit nach bariatrischer Chirurgie geht, wird interessanterweise die Evidenzklasse, die sonst an jeder kleineren unbedeutenden Studie aufgeführt wird, weggelassen. Das könnte den Eindruck erwecken, dass es sich hierbei um die den höchsten Ansprüchen genügenden randomisierten Forschungsarbeiten der Evidenzklasse 1 handelt – was aber bei genauerer Überprüfung nicht der Fall ist. An anderer Stelle wird über »exzellente Ergebnisse in einem 10 -Jahres-Follow-up nach Magen-Bypass« gesprochen, wobei es sich lediglich um Fallbeispiele der sehr niedrigen Evidenzklasse 4 handelt. Eigentlich sollte doch die Leitlinie einer Fachgesellschaft wissenschaftlich neutral sein. Letztlich schließt die Leitlinie mit der Aussage: »Mehrere große Studien zeigen die Effektivität bariatrischer Operationen hinsichtlich der Reduktion der Langzeit-Mortalität auf«, ohne darauf hinzuweisen, dass hier Studien mit nicht hinreichend hoher Evidenzklasse zugrunde liegen. Noch erstaunlicher ist, dass der Leitlinien-Ausschuss eine wichtige Studie überhaupt nicht erwähnt.
Tatsächlich gibt es nämlich eine alarmierende Untersuchung zur Sterblichkeit nach Magenverkleinerungen und Darmverkürzungen, die erhebliche Zweifel an der Harmlosigkeit von bariatrischen OP s aufkommen lässt. Diese Studie wurde nicht klinisch, also mit Patienten in bestimmten Kliniken oder Adipositas-Zentren, durchgeführt, sondern epidemiologisch, das heißt in der Bevölkerung. Amerikanische Wissenschaftler werteten dazu im US -Bundesstaat Pennsylvania die Daten von 16683 (!) bariatrisch operierten Menschen aus. Es traten 3 1 Suizide auf, 30 Prozent der Suizidfälle ereigneten sich innerhalb von zwei Jahren nach der OP , fast 70 Prozent innerhalb von drei Jahren. Verglichen mit den Suizidfällen in der gleichaltrigen US -Bevölkerung stiegen die Raten bei den Operierten geradezu explosionsartig um mehr als das 5 - bis 7 -fache an – auf 570 Prozent bei den Männern und 740 Prozent bei den Frauen. Das ist an sich schon viel zu auffällig, um unberücksichtigt zu bleiben. Außerdem weiß man aus anderen Untersuchungen, dass dicke Menschen seltener zu Selbsttötungen neigen als schlanke. So gesehen, steigt das Risiko eines dicken Menschen, sich nach einer bariatrischen Operation das Leben zu nehmen, wahrscheinlich auf deutlich mehr als 700 Prozent!
Nach einer derartigen Operation hat das Gehirn noch zwei Möglichkeiten: radikal Energie sparen oder das Stresssystem überlasten
Wie ist dieses dramatische Ergebnis zu erklären? Aus der Selfish-Brain-Forschung wissen wir, dass ein hohes Körpergewicht Ausdruck einer Strategie des Gehirns ist, seinen Energiebedarf
Weitere Kostenlose Bücher