Mythos Übergewicht: Warum dicke Menschen länger leben. Was das Gewicht mit Stress zu tun hat - überraschende Erkenntnisse der Hirnforschung (German Edition)
Missverständnissen vorzubeugen: Dieser Preis muss gezahlt werden. Denn wirksam ist der Stressschutz eines Menschen vom Typ B nur dann, wenn er sich in Phase drei befindet. Also in der Phase, in der das Stresssystem effektiv gedämpft wird und das Körpergewicht zunimmt. Alle Maßnahmen, die dem entgegenwirken – also weniger zu essen oder sogar eine kalorienreduzierte Diät zu machen oder sich den Magen operativ verkleinern zu lassen –, stellen einen »Rückfall« in der persönlichen Anpassungsbiografie eines Menschen an chronischen Stress dar. Diese kontraproduktiven Maßnahmen sorgen dafür, dass der Mensch, der eigentlich zum Stresstyp B gehört, auf die andere Seite wechselt. Ein gezügelter B-Typ mutiert zwar nicht genetisch, aber – zumindest was das Gesundheitsrisiko angeht – zum A-Typen, weil sein innerer Stresspegel hoch geht und für ihn alle gesundheitlichen Risiken gelten, die sonst nur Menschen vom Typ A haben.
Von A nach B? Warum können wir Menschen nicht einfach die Seite wechseln?
Die Stressantwort der Wasserkrebse der Art daphnia lumholtzi beruht auf ein und derselben Basis – dem gleichen Genotyp; wenn Raubfische auftauchen und es stressig wird, können alle Krebschen im Umkreis mit ihren helmartigen Spitzen ihr Risiko senken, gefressen zu werden. Anders gesagt: Vor dem Stress sind alle Krebse dieser Art gleich. Das ist bei uns Menschen anders: Wir haben zwei unterschiedliche Typen – A und B – und welchem wir angehören, hängt entscheidend von unserer genetischen Veranlagung ab. Wir selbst haben darauf keinen Einfluss. Aber warum macht es die Evolution uns Menschen so kompliziert? Warum haben nicht auch wir die Möglichkeit, uns alle gleich dem Stress im Haifischbecken anzupassen? Die Antwort lautet leider: Wir wissen es nicht genau. Möglicherweise lässt sich die Frage evolutionsbiologisch beantworten. Ja, alle Menschen vom Typ B haben unter Dauerstress gesundheitliche Vorteile – allerdings unter einer Bedingung: Es muss genug zu essen da sein. Nur wenn das Nahrungsangebot ausreicht und gesichert ist, funktioniert die Strategie der Stressdämpfung, welche Mehressen erfordert. In Krisenzeiten, in denen Nahrung knapp ist, wird der Stress für die B-Typen enorm. Während die Menschen vom Typ A bezüglich des Nahrungsangebots genügsam sind, hat das Gehirn der Menschen vom Typ B voll auf die Kalorienkarte gesetzt. Bleibt also die Nahrungszufuhr aus, geht es ihrem Gehirn schlecht und schlechter. Ihr Hirnstoffwechsel ist weit vom Gleichgewicht entfernt. Ihre geistige Leistungsfähigkeit und ihre Stimmung leiden extrem unter der Nahrungsbeschränkung. Sprachstörungen, Schwindel, Koordinationsschwierigkeiten über Gedächtnisstörungen bis hin zu Libidoverlust sind nur einige der Beispiele, mit denen Menschen vom Typ B rechnen müssen, wenn ihr Gehirn zu wenig zu essen bekommt. Der Typ A ist also möglicherweise ein »Überlebensentwurf« für gleichzeitige Stress- und Nahrungskrisenzeiten, an denen es in der Menschheitsgeschichte ja wahrlich nicht mangelt.
Bei der Reaktion auf Stress, der Bewältigung und der Habituation hat die Evolution – wie in vielen anderen Fällen auch – unterschiedliche Wege beschritten. Es ist spannend und sicher auch aufschlussreich, sich mit den Anti-Stress-Strategien verschiedener Lebensformen zu befassen. Allerdings sind diese Erkenntnisse nur begrenzt auf den Menschen übertragbar.
Macht Kalorienbeschränkung Rhesusaffen jünger? Wie ein Tierexperiment für Aufsehen sorgt
Um das wissenschaftliche Bild zu vervollständigen, müssen wir uns an dieser Stelle mit Forschungen beschäftigen, die in jüngster Zeit für Aufsehen gesorgt haben und zu sich widersprechenden Ergebnissen gekommen sind. Es geht dabei um zwei Studien zum Thema Kalorienbeschränkung und Langlebigkeit bei ›untergewichtigen‹ Tieren , welche dem Forschungszweig Diätetische Therapie bei ›übergewichtigen‹ Menschen auf den ersten Blick verwandt erscheinen. In Tierexperimenten wurde festgestellt, dass Würmer, Fliegen, Nager und sogar Affen unter bestimmten Umständen länger leben und weniger schnell altern, wenn man sie lebenslang auf eine Sparkost setzt (etwa minus 25 Prozent der üblichen Energieaufnahme). Diese Studien fanden einen großen Nachhall und werden häufig von Befürwortern zur Argumentation für die positiven Effekte von Nahrungsbegrenzung – also Formen des gezügelten Essens – auch beim Menschen herangezogen. 2009 wurde die erste von zwei groß angelegten
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