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Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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aufgenommen. Die katholische Kirche unterstützt die Position der Amazonasstämme, und deshalb wäre es nicht gut, wenn jemand behauptet, die Indigenas hätten einen Kardinal ermordet. Das können wir ja auch nicht glauben. Aber warum hätte die Polizei ihn töten sollen? Das ist ein Rätsel. Und damit will niemand an die Presse gehen.“ Er knetete nervös seine Hände.
    „Ich bin die Presse“, warf MacLoughlin ein.
    D’Albret umklammerte die Tischkante mit den Händen. Die Knöchel traten weiß hervor. „Das kann doch nicht wahr sein“, flüsterte er. „Ich muss das begreifen … Wer sollte Merdrignac denn umbringen wollen? Ich muss verstehen, was da passiert ist.“
    Tod, Leid, Zerstörung waren da passiert, dachte MacLoughlin. Alles letztlich sinnlos. Menschen brachten sich gegenseitig um, und wenn genug gestorben waren, schworen alle ewigen Frieden. Bis zum nächsten Anlass, der diesmal natürlich wirklich einen Krieg rechtfertigte.
    Noch am Nachmittag hatte sie einen Bericht an die Irish Times abgeschickt und kurz mit einem der Nachrichtenredakteure telefoniert. Tatsächlich interessierte sich in Europa kaum jemand dafür. Auch die Times würde nur eine kleine Meldung machen. MacLoughlin hatte das müde zur Kenntnis genommen. Vielleicht war es für sie wirklich an der Zeit …
    „Es wird eine Untersuchung der Vorfälle geben“, sagte Araoz. „Wenn dabei etwas herauskommt, dann sehen wir weiter. Der Kardinal wird in den nächsten Tagen nach Rom überstellt. Der Bischof muss jetzt einen neuen Delegaten ernennen, der die Wundertätigkeit von Bartolomé de Las Casas überprüft“, wechselte er das Thema. „Aber er ist jetzt natürlich erst einmal ziemlich beschäftigt mit der Sache hier.“
    Er wandte sich an MacLoughlin. „Es kann einige Zeit dauern, bis das Verfahren fortgesetzt wird. Was Sie betrifft, muss ich gestehen …“
    MacLoughlin winkte ab.
    Araoz stand auf. „Es wird Zeit für mich“, sagte er.
    MacLoughlin sah erstaunt zu, wie Araoz das Restaurant verließ. Wollte der Mann d’Albret denn keinen seelischen Beistand leisten, so von Priester zu Priester?
    Sie schaute zu dem Franzosen hinüber. Eine Welle des Mitleids überlief sie. Sie hatte schon zuvor gespürt, dass ihn etwas aus der Bahn geworfen hatte. Nun schien er unendlich allein zu sein.
    Er schaute in das Weinglas hinein, in dem er die Flüssigkeit langsam kreisen ließ. Sein Blick fiel durch das Glas hindurch, als fokussierte er den Mittelpunkt der Erde.
    Der Priester stand abrupt auf, machte einige Sch ere einigritte zum Pool hinüber und ließ sich in einen der Liegestühle fallen. Dann holte er ein kleines Buch heraus und las darin. Offensichtlich setzt er auf die Worte der Bibel, dachte MacLoughlin. Was wohl auch sonst?
    Es begann zu regnen. Das Wasser über den hellblauen Kacheln des Pools kräuselte sich unter den Tropfen, die vom Himmel fielen. Leise trommelte der Regen auf die Blätter der Farne, die zwischen den Liegestühlen standen.
    Sie stellte sich an den Pool. „Das Buch Hiob?“, fragte sie den jungen Priester.
    D’Albret blickte sie an, als würde er sich ihrer Gegenwart erst jetzt bewusst.
    „Gibt Ihnen das Buch Trost?“ MacLoughlin hob das Gesicht dem grauen Himmel entgegen und ließ Regentropfen auf ihre geschlossenen Augenlider fallen.
    D’Albret schwieg eine Weile. Dann klappte er die Bibel zu.
    „Womit könnte ich mich sonst trösten?“, fragte er.
    „Manchmal hilft reden“, antwortete MacLoughlin leise. „Sie standen sich offenbar sehr nahe?“
    D’Albret hob den Kopf und blinzelte eine Träne weg. „Ich verstehe das alles nicht. Ich will wissen, warum er umgebracht worden ist“, sagte er. „Das ist alles so sinnlos.“
    Er schaute MacLoughlin an. „Ich hatte noch so viele Fragen an ihn.“
    „Das merkt man immer erst, wenn man sie nicht mehr stellen kann“, sagte MacLoughlin und setzte sich in den Stuhl neben d’Albret.
    „Ich hätte sie in den nächsten Wochen stellen wollen, weil ich ja wusste, dass er bald sterben würde“, sagte der Priester
    MacLoughlin runzelte verwirrt die Stirn. „Er wäre bald gestorben?“
    „Krebs“, erklärte d’Albret. „Das hier sollte so etwas wie eine letzte gemeinsame Reise sein. In meiner Kindheit und als Jugendlicher bin ich oft mit ihm gereist. Nach Afrika, Südamerika, ich weiß schon gar nicht mehr, wohin überall.“
    „Wieso sind Sie mit ihm und nicht mit Ihren Eltern gereist?“
    „Sie sind bei einem Unfall gestorben, als ich sieben war.

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