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Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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Wasserlilien bedeckt. Ein kleiner, schwarzroter Frosch hockte darauf und sprang davon, als sie die Kanne mit Wasser füllte. Dann machte sie sich flüchtig frisch.
    Als sie zurückkam, hatte d’Albret den Gaskocher entzündet.
    York krabbelte aus seinem Zelt und gähnte. Dann lächelte er Tilly an. „Heute wird unser großer Tag, was?“, sagte er.
    Während sie das abgekochte Wasser durch einen Filter in ihre mit Instantkaffeepulver gefüllten Tassen gossen, überlegten sie, wie sie weiter vorgehen sollten. Sie einigten sich darauf, zum Kanu zurückzukehren und in Richtung Südwesten zu suchen.
    Am Ufer des Baches, wo Tilly am Tag zuvor die größten Hindernisse mit der Machete beseitigt hatte, kamen sie schnell voran. Das Kanu war noch da, wo sie es verlassen hatten. Wieder teilten sie sich auf und schlugen sich in wenigen Metern Abstand durch den Dschungel.
    Nach zwei Stunden hörte Tilly York rufen. Es lag Hoffnung in seiner Stimme. Sie kämpfte sich zu dem Amerikaner durch.
    Vielleicht fünf Meter vom Ufer des Río Nahuati entfernt stand York vor einer schmalen, zwei Meter hohen Struktur, die Tilly an einen Obelisken erinnerte. Allerdings war die Oberfläche unregelmäßig und von Farnen und klebgernen uninen Sträuchern überwuchert. York hatte bereits begonnen, die Pflanzen mithilfe der Machete zu entfernen. Darunter kam grauer Fels zum Vorschein.
    Tilly und d’Albret halfen dem Amerikaner. Bald konnten sie erkennen, dass der Stein künstlich bearbeitet worden war. Verwirrende Muster bedeckten ihn auf allen vier Seiten, ineinander übergehende Gestalten, von denen hier und dort Gliedmaßen und Köpfe deutlich zu erkennen waren, die allerdings keinen einzelnen Körpern zugeordnet werden konnten. Das deutlichste Merkmal, das Tilly auffiel, waren die Zähne, die aus allen dargestellten Mäulern und Mündern ragten. Ansonsten vereinigten die Figuren Merkmale von Kaimanen, Schlangen, Fischen und sogar Vögeln. Eine Reihe von stilisierten Menschenköpfen zierte den Fuß der Stele. Köpfe ohne Körper, wie d’Albret schockiert feststellte. Abgeschlagene Köpfe?
    York pfiff begeistert durch die Zähne und schlug gegen den Stein. „Wir sind da“, rief er aufgeregt und klatschte in die Hände.
    Tilly ging um die Säule herum. „Kein Wunder, dass Ritz vom Bild eines furchtbaren Götzen berichtet hat“, sagte sie nachdenklich. Sie folgte mit dem Finger einer der Linien im Stein und zeichnete so einen länglichen Kopf nach, der an eine Mischung aus Krokodil und Hund erinnerte.
    „Das hier sieht so ähnlich aus wie eine bekannte Stele, von der ich Fotos gesehen habe. Der Lanzón von Chavín de Huántar.“
    Der Monolith El Lanzón war das Zentrum einer großen Pyramide in den Anden, in deren Innerem Steinblöcke ein Labyrinth bildeten. Die Stele, dessen Form an die Spitze einer Lanze erinnerte, war mehr als vier Meter hoch und wie diese Säule hier über und über mit unheimlichen, bizarren Motiven überzogen. Die Anlage Chavín de Huántar im Osten der Cordillera Blanca galt als ältestes Steingebäude in Peru überhaupt. Archäologen gingen davon aus, dass sich die Kultur und Religion der Menschen, die dort gelebt hatten, bereits vor fast 3000 Jahren über die Anden bis zur Küste und bis zum Titicacasee ausgebreitet hatten. Viel wusste man nicht über sie, und außer den Tempeln von Chavín de Huántar selbst, dem Lanzón und zwei oder drei anderen ähnlichen Säulen war fast nichts gefunden worden, das entsprechende Motive zeigte.
    „Das heißt, die Säule hier ist also bereits ein bedeutender archäologischer Fund“, stellte d’Albret fest. „Wenn sie wirklich diesem Lanzón ähnelt, dann hätte der Einfluss der Chavín-Kultur bis hierher gereicht. Erstaunlich. Aber schließlich haben die Inkas in Chachapoyas auch von diesem Gebiet hier gewusst“, sagte er nachdenklich. „Was für Wissen wohl noch alles verloren gegangen ist, weil die Spanier die peruanische Kultur so nachhaltig zerstört haben?“
    York riss die Farne um die Säule herum aus dem Boden. „Ritz schreibt doch von einem gepflasterten Pfad“, murmelte er.
    D’Albret und Tilly halfen ihm, und schließlich stieß Tilly auf einige flache Steine. Der Pfad war von Erde bedeckt und zugewachsen. Ihn vollständig freizulegen, hätte eine Ewigkeit gedauert. Sie stellten deshalb nur die Richtung fest, in die er zu führen schien, und folgten ihm einige Meter. Dann rupften sie erneut Pflanzen aus, um zu prüfen, ob sie noch auf dem richtigen Weg

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