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Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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Schöpfung geformt, entbunden von den Einflüssen der primitiven Triebkräfte des Spieles, das wir Leben nennen. Nicht mehr derjenige würde sich gegen die anderen durchsetzen, der am besten an die Umwelt angepasst war und über die erfolgreichsten Strategien zur Fortpflanzung verfügte, sondern alle wären damit zufrieden, alles gerecht zu teilen und auch allen anderen Lebewesen einen ausreichenden Teil zu überlassen. Die Menschheit wäre die Familie, der Verein, die Gemeinde, die Gesellschaft, der Orden, dessen Mitglieder sein zu dürfen, wir dankbar wären.
    Dieser Gott wäre kein Gott, der widersprüchliche Gebote aufstellte und uns dann mit der Aufgabe allein ließ herauszufinden, warum wir an ihnen scheiterten.
    Zeigt mir einen solchen Gott der Tat und nicht Hirngespinste, Projektionen menschlicher Bedürfnisse und Ambitionen, hilflose, billige Erklärungsversuche für noch unerklärliche Schrecken und Phänomene, die derzeit über unseren Verstand hinausgehen.“
    Aber Gott! Gott könnte es also geben?, fragte d’Albret lautlos.
    „Wenn es einen Gott gibt“, antwortete MacLoughlins Stimme in seinem Kopf, „so wissen wir von ihm nichts, als dass da etwas sein könnte, das hinter allem steckt, das wir bislang erfahren und entdeckt haben. Nichts mehr wissen wir darüber, nicht das Geringste darüber hinaus. Warum tun Sie also so, als wüssten Sie etwas, das ich nicht weiß, bloß weil Sie den Inhalt von Geschichten, die teilweise noch aus der Bronzezeit stammen und zuletzt von Menschen mit dem begrenzten Wissen und Horizont der römischen Kaiserzeit aufgeschrieben und interpretiert wurden, für bare Münze nehmen? Hören Sie auf zu beten. Hören Sie auf zu hoffen, dass da irgendetwas ausgerechnet jetzt ausgerechnet Ihnen – diesem Menschlein, diesem Produkt aus einer zufällereiner zuigen Genkombination unter unzählbar vielen möglichen Kombinationen auf diesem kleinen Planeten auf seiner zufällig Leben ermöglichenden Umlaufbahn um eine belanglose Sonne in einem unbedeutenden Seitenarm einer gewöhnlichen Spiralgalaxie in einem ziemlich staubfreien Gebiet namens Lokale Blase in einem grenzenlosen Universum voll mit Milliarden Galaxien mit Milliarden Sternen mit Milliarden Planeten mit unzähligen Lebensformen, die einen winzigen Raum in einer sonst unendlichen Leere einnehmen – ein Ohr oder was immer es zum Hören besitzen könnte – könnte! – leiht.“
    Das Gefühl der Leere um ihn und in ihm wurde überwältigend. Unerträglich. D’Albret spürte, wie eine Träne aus seinem Augenwinkel rann, den Weg zu seinem Ohr fand und dort kitzelnd versickerte.
    Da war er wieder, sein Körper. Er rieb sich mit der Hand über das Gesicht und richtete sich auf, stützte das Kinn auf die gefalteten Hände und versuchte zu denken.
    Aber es gelang ihm nicht. Vier Worte kreisten in seinem Kopf und verdrängten alles andere, während er wie ein lebender Toter in sein Zelt schlüpfte, den Reißverschluss hinter sich zuzog und in den Schlafsack kroch.
    Was soll ich glauben?
    Sonntag, 21. Juni, am Río Nahuati, Peru
    Erschrocken zuckte Tilly vom Zelteingang zurück. Etwas huschte durch ihr Lager, hüpfte über das erloschene Lagerfeuer, warf das Kochgeschirr um. Dann sprang es einen Baum hoch und hockte sich auf einen niedrigen Ast.
    Aus dunklen Augen in einem weißen Gesicht beäugte der kleine, braune Affe neugierig die Paläografin, die sich aus ihrem Zelt kämpfte und seinen Blick erwiderte. Der lange Schwanz des braunen Tieres baumelte herunter. Der Affe bleckte die Zähne. Dann verschwand er im Dschungel.
    An mehreren Stellen um das Lager herum raschelte es. Hier und dort erhaschte Tilly in den Bäumen einen Blick auf Flecken braunen Felles. Offenbar war das Tier, das ihr Lager besucht hatte, nicht allein unterwegs.
    Der Kopf des Priesters tauchte hinter dem Moskitonetz seines Zeltes auf. D’Albret sah müde aus. Tilly hatte in der Nacht noch lange gehört, wie er sich hin und her gewälzt hatte, bis sie – offenbar im Gegensatz zu ihm – eingeschlafen war. Dabei war ihr das nach den Gewehrschüssen am Abend auch nicht leicht gefallen.
    „Was war denn das?“, fragte d’Albret.
    „Ich glaube, eine Horde Totenkopfäffchen.“ Tilly hob die Kaffeekanne auf und schüttete ihren kalten Inhalt ins Gebüsch. Das nächtliche Zirpen, Raunen und Summen des Waldes hatte sich in das allmorgendliche Dämmerungskonzert der Vögel und Amphibien verwandelt.
    Sie ging zum Bach. Die Oberfläche war fast vollständig von

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