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Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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einen skeptischen Blick zu. „Und was ist mit deinem Kardinal? Und mit den getöteten Indigenen und Polizisten? Keine schützende Hand für sie?“
    Der Priester hob die Achseln. „Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege“, zitierte er unhörbar den Apostel Paulus.
    Tilly kroch zu ihrem Zelt hinüber. „Gute Nacht.“
    D’Albret schaute in den Himmel hinauf. Die Sicht war unglaublich. Es war ihm schon in Jaén und noch stärker in Balsapuerto aufgefallen, dass er zwischen den Baumwipfeln viel mehr Sterne sehen konnte, als er es von zu Hause kannte. Vermutlich lag es an der sauberen Luft und dem Fehlen künstlicher Beleuchtung.
    Er kannte die Sternbilder der südlichen Hemisphäre nicht, aber er hätte sie in diesem Lichtermeer vermutlich auch nicht wiedergefunden. Sollte man nicht wenigstens das Kreuz des Südens sehen können? In der Nähe dieser Konstellation muss das Sternzeichen Stier liegen, und zu diesem gehört der Rote Zwerg Proxima Centauri, der nächste Sternennachbar unserer Sonne im Universum.
    Für einen Nachbarn war der Winzling allerdings ziemlich weit weg. Die Entfernung war so riesig, dass das Licht etwa 4,2 Jahre brauchte, bevor es auf die Linsen irdischer Teleskope fiel. Licht, erinnerte sich d’Albret, legte innerhalb einer Sekunde fast 300’000 Kilometer zurück. Das waren mehr als eine Milliarde Kilometer in der Stunde. Amerikanische Spaceshuttles flogen mit einer Geschwindigkeit von 28’000 Kilometern pro Stunde, wie er mal in einer Dokumentation aufgeschnappt hatte. Die Reise mit so einer Raumfähre würde also einige Tausend Jahre dauern, vielleicht sogar einige Zehntausend Jahre – d’Albret verzichtete darauf, das im Kopf auszurechnen. Die nächste Galaxie, das wusste er ebenfalls noch, war die Zwerggalaxie Canis Major, 25’000 Lichtjahre von unserer Sonne entfernt. Dass die Milchstraße, in der unser Heimatstern lag, mit den benachbarten Galaxien über den sogenannten Magellan’schen Strom verbunden war, einer Wasserstoffgasbrücke, machte die Reise dorthin auch nicht leichter. 25’000 Lichtjahre – das bedeutete, dass das Licht, das uns heute von Canis Major erreichte, sich auf die Reise gemacht hatte, als die letzten Neandertaler um ihre Feuer saßen, bevor ihre Art vom Antlitz der Erde verschwaflorde vernd.
    Wie die Bilder der Weltraumteleskope zeigten, war das Universum angefüllt mit unzähligen Galaxien, Nebeln, Gaswolken, Schwarzen Löchern, interstellarem Staub der Sternenwinde und Supernovae. Mehr leerer Raum und zugleich mehr Fülle, als man sich vorstellen konnte, ohne die Fassung zu verlieren.
    D’Albret spürte seinen Körper nicht mehr. Nur seine weit geöffneten Augen existierten noch als Fenster zwischen dem unendlichen Außen und seinem Geist. Ein klarer, strahlender Gedanke leuchtete leise in seinem Bewusstsein auf und wurde immer stärker. Wie groß musste der Gott sein, der dies alles geschaffen hatte!
    Plötzlich hörte er in seinem Kopf eine Stimme, die sehr nach Brea MacLoughlin klang.
    „Und wenn ein Gott dies erschaffen haben sollte, warum hätte er sich ein belangloses, selbstherrliches kleines Völkchen in der Wüste der Levante erwählen sollen? Ein Stamm, herumgeschubst von Ägyptern und Babyloniern, der weit weniger vom Kosmos wusste als die meisten Völker um sie herum und der keinen originelleren Schöpfungsmythos zu entwerfen fähig war als J. R. R. Tolkien in seinem Silmarillion ?
    Mein Gott würde nicht in Form brennender Dornbüsche auftreten. Er würde den Orionnebel an die Milchstraße heranschieben, als Zeichen seiner Macht, auf dass unser bloßes Auge dieses großartige Himmelsphänomen am Firmament sehen würde. Dazu würde Musik erklingen, die die Sphären erfüllen würde. Er würde alle Atomraketen Richtung Mond abfeuern und uns ein himmlisches Feuerwerk liefern. Alle Bomben, Granaten und Patronen würden im Rhythmus der Musik mit einem sanften Plopp vergehen, alle Waffen wären mit himmlischem Zement versiegelt, alle Schwerter wären Pflugscharen, alle Soldatenhelme Blumentöpfe, alle Uniformen Narrenkostüme. Wir könnten die Hand nicht mehr zur schlagenden Faust ballen, und Eltern wären zufrieden mit zwei Kindern, auf dass sich keine wachsende Menschheit um die Schätze der Erde streiten musste. Bescheidenheit würde uns vom Stift Gottes in die Gene geschrieben und das Bedürfnis nach wahrer Gerechtigkeit unter allen Menschen. Die Evolution wäre beendet, der Mensch würde zur Krone der

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