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Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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Zwitschern flog zwischen ihnen hin und her, als würden sie aufgeregt miteinander reden. Wie durch Geisterhand hoben sich die Stangen, die Pérez freizulegen versucht hatte, und verschwanden in der Decke. Pérez spürte ein heftiges Ziehen im Unterleib. Er stemmte voller Panik die Füße gegen den Boden und drückte den Rücken an die Wand, als zwei der Tiere die Zelle betraten. Seine Hände ballten sich so stark zusammen, dass seine Finger knackten. Dann hob er die Fäuste vor die Brust. Er würde sich wehren, er würde treten, schlagen, spucken, beißen. Adrenalin überflutete seinen verkrampften Körper.
    Tanriverdi kniete noch immer mit gesenktem Kopf am Gitter und betete. Als die zwei Tiere nach ihm griffen, zuckte er zusammen – und pries weiter Allah.
    In diesem Augenblick wurden Pérez zwei Dinge klar. Erstens, dass diese Reptilien eine Hand mit drei Fingern und eine Art Daumen besaßen. Sie erinnerte ein wenig an die des Menschen.
    Und das Zweite, dachte Pérez mit einem Blick auf Tanriverdi, war, dass ein fester Glaube es wirklich möglich machte, selbst die schlimmsten Momente zu ertragen.
    Der Türke hatte die Augen geschlossen, den Kopf gesenkt, die Lippen bewegten sich im Gebet, während diese Viecher ihn laut keuchend aus der Zelle schleiften.
    Offensichtlich hatte er sich völlig in sich selbst zurückgezogen, an einen Ort weit entfernt vom Hier und Jetzt, wo nur seine eigene Stimme zu hören war, die dem Todesengel Lobpreisungen Allahs entgegenrief. Vielleicht gaukelte ihm seine Fantasie schon Bilder vom Paradies vor, als Verheißung dessen, was ihn auf der anderen Seite erwartete.
    Mit einem langen, erleichterten Stöhnen fuhr die Luft aus seiner Lunge, als die Stangen sich aus der Decke senkten und sich zwischen ihn und diese Monster schoben. Freude erfüllte ihn, Erleichterung, unendliche Erleichterung darüber, dass es Tanriverdi erwischt hatte, nicht ihn. Er öffnete die Fäuste. Seine Fingernägel hatten sich tief in seine Handflächen gegraben. Hinter seinen Schläfen rauschte es. Er wollte sich abwenden, aber es gelang ihm nicht, sich von dem Anblick loszureißen.
    Die Echsen und Tanriverdi hatten den Platz vor der Statue erreicht. Tanriverdi hatte die Augen noch immer geschlossen. Pérez hoffte für ihn, dass er nicht mehr in die Gegenwart zurückkehren würde.
    Eines der Reptilien hatte sich mit ausgebreiteten Armen vor dem Idol aufgestellt. Pérez schloss die Augen. Er wollte nicht sehen, was geschah.
    Plötzlich wurde es ganz still. Pérez konnte nicht anders – er öffnete die Augen. Tanriverdi kniete über einem Steinblock vor dem Götzenbild. Eines der Tiere hielt seinen Kopf an den Haaren fest. Genau in dem Augenblick, als Pérez wieder hinsah, sprang ein zweites Reptil vor Tanriverdi in die Höhe, riss einen Fuß hoch und schlug die riesige Klaue wie ein Beil in den Hals des Türken. Pérez schloss erneut die Augen. Ihm wurde übel. Er sackte zusammen und drehte sich zur Wand. Das also stand ihm bevor. Und er würde sich niemals so gefasst in sein Schicksal ergeben wie Tanriverdi – da war er sich sicher.
    Sonntag, 21. Juni, Tunnelsystem östlich des Río Nahukehes Ríoati, Peru
    Sie kamen nur langsam voran. Dave, der Drogenhändler, marschierte mit MacLoughlin an der Spitze. Er hielt seine Waffe im Anschlag, während sie den Weg mit der Taschenlampe ausleuchtete. Tilly und Carlos hatten sich Yorks Arme um die Schultern gelegt und schleppten ihn mit sich.
    D’Albret bildete die Nachhut. Der Priester umklammerte mit verkrampften Händen das Sturmgewehr, blickte sich ständig um und lauschte angestrengt in die Finsternis, die den Gang hinter dem Lichtkegel der Taschenlampe wie eine Welle schwarzer Tinte überflutete. Ihr Atmen und Keuchen sowie das Scharren ihrer Füße machten es fast unmöglich, etwas zu hören. Aber er hätte es nicht ertragen, einfach nur vorwärts zu gehen, mit dem kribbelnden Gefühl im Nacken, etwas könnte sich von hinten anschleichen.
    Plötzlich lief er in York hinein. Der Amerikaner stieß einen unterdrückten Schmerzensschrei aus. Die Gruppe hatte gehalten.
    D’Albret sah den Lichtfinger von MacLoughlins Lampe von links nach rechts huschen und wieder zurück. Sie waren auf eine Kreuzung gestoßen. Ratlos schauten sie sich an.
    „Also, ich habe die Orientierung verloren“, sagte MacLoughlin. „Wenn einer der Gänge nach oben führen würde, dann würde ich ihm gern folgen, aber davon ist hier nichts zu sehen.“
    „Im Gegenteil“, stellte Dave fest

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