Mythos
geborgene Gut eingelagert hatten. Das Unternehmen hatte eigens einen Jet gechartert, um Tonnen von Silber- und Goldmünzen, verpackt in Unmengen verschließbarer Plastikeimer, nach Florida zu fliegen. Es waren Hunderttausende von Münzen, und jede dürfte Sammlern und Museen im Schnitt 1000 Dollar wert sein. Er hatte den Wagen vor dem Lagerhaus geparkt, war aber nicht ausgestiegen, sondern hatte nur auf die Wand gestarrt. Hinter diesen Steinen befand sich ein Vermögen, mit dem manches Land der Dritten Welt sich sanieren könnte. Und er konnte jetzt dort hineingehen und mit der bloßen Hand in den Münzen wühlen. Sie in die Höhe werfen und sich auf den Kopf prasseln lassen wie Dagobert Duck. Das tat allerdings ziemlich weh. Das wusste er, weil sie es auf dem Bergungsschiff vor Freude tatsächlich getan hatten.
„Inés, ich möchte etwas mit dir besprechen.“ Er beugte sich vor und koich vorlegte seiner Frau die Hand auf das bloße Knie. „Ich denke darüber nach, einen Schatz auf dem Festland zu suchen.“ Das war gelogen. Er hatte sich schon dazu entschlossen.
„Ich habe einige Wochen, in denen ich selbst über meine Zeit bestimmen kann, und einer meiner Mitarbeiter hat da eine heiße Spur.“
Inés verzog keine Miene. Sie hätte ihn gern daran erinnert, dass er auch Zeit mit seiner Familie verbringen könnte. Mit ihr. Das war York klar. Aber sie schwieg.
„Es steht auf der Kippe, ob wir den Schatz von der Nuestra Señora de la Cruces behalten können.“ Er wies mit dem Daumen in Richtung Tampa. „Aber da können wir im Augenblick nichts machen. Die übrigen Projekte laufen gut ohne mich. Und diese andere Sache wäre eine tolle Abwechslung und könnte sich lohnen.“
Er streichelte zärtlich ihren Oberschenkel. „Das würde ich unabhängig von der Firma machen, nur mit meinem Mitarbeiter. Geringer Aufwand, vielleicht großer Gewinn.“
„Erzähl mir davon“, forderte Inés ihn auf. „Worum geht es?“
„Um Gold, das die Inkas im 16. Jahrhundert vor den Spaniern in Sicherheit gebracht haben. Du weißt doch – Atahualpa hatte Francisco Pizarro ein riesiges Lösegeld für seine Freiheit versprochen. Aber die Spanier haben ihn getötet, bevor …“
„Du meinst aber nicht Valverdes Gold, oder?“, fragte sie und richtete sich auf.
York schaute sie neugierig an. Der Begriff kam ihm vage bekannt vor, aber ihm fiel nicht ein, woher.
Die Kinder lenkten sie ab. Rosie hatte ein Spielzeugschiff ihres Bruders versenkt, und Billy versuchte jetzt, ihre Barbiepuppe zu ertränken. Ihre Mutter wies beide zurecht und erklärte ihrem Sohn, wie schlimm es sein musste zu ertrinken. Sie macht das großartig, dachte York.
Inés kehrte in den Liegestuhl zurück. „Valverdes Gold ist ein Mythos. Nicht so bekannt wie El Dorado. Aber in Ecuador kennt jedes Kind die Geschichte.“
Und damit, dachte York, auch Inés, denn ihre Eltern kamen von dort.
„Als du mir das erste Mal gesagt hast, dass du nach Schätzen suchst, habe ich dir erzählt, dass es in der Heimat meiner Eltern Leute gibt, die das ebenfalls tun.“
„Daran erinnere ich mich“, sagte York. „Aber ich muss zugeben, die Geschichte selbst habe ich vergessen.“
„1533“, erzählte Inés, „hatten die Spanier unter Francisco Pizarro den Inka Atahualpa in Cajamarca hingerichtet. Doch zu diesem Zeitpunkt waren noch nicht alle Lamakarawanen mit Gold und Silber, mit denen der Herrscher sich hatte freikaufen wollen, dort angekommen. Als Atahualpa tot war, kehrten die loyalen Generäle des Inka um und brachten die Schätze vor den Spaniern in Sicherheit. Der berühmte Heerführer Rumiñahui, das Steingesicht, ließ angeblich 2500 Tonnen Gold in einem See bei Baños versenken.“
„Augenblick“, unterbrach York seine Frau. „2500 Tonnen Gold? Wie viele Lamas sollen das denn transportiert haben?“
„70.000“, antwortete Inés. „He, ich sage doch, dass es ein Mythos ist.“
Alle Träger waren getötet worden, und die Generäle, die den Ort kannten, verrieten ihn nicht einmal unter der Folter der Spanier. Etwa 50 Jahre später hatte sich in dem Ort Pillaro im Norden von Baños ein spanischer Konquistador namens Juan de Valverde in die Tochter eines Häuptlings verliebt. Die beiden verschwanden immer wieder in den Bergen und kamen mit Schätzen zurück. Angeblich hatte Valverde auf dem Sterbebett für den spanischen König eine genaue Wegbeschreibung zu dem See mit dem Schatz von Rumiñahui diktiert – seinen berühmten Derrotero.
„Valverdes
Weitere Kostenlose Bücher