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Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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Gefühl, dem er sich gerade hingab. Dabei müsste er wütend auf sich sein. Rasend vor Zorn. Wenn er nicht in der Lage war, seine Gelüste im Zaum zu halten und sich an die Regeln zu halten, wie konnte er dann rechtfertigen, als Priester aufzutreten? Mit welchem Recht durfte er sich vor eine Gemeinde stellen und predigen? Er musste ein Vorbild sein, sonst wäre die Achtung, die ihm andere entgegenbrachten, nicht gerechtfertigt. Er sollte …
    Das Telefon ließ ihn zusammenfahren. Die Fliege flog davon, summte wieder hinauf zur Lampe. D’Albret setzte sich auf und griff nach dem Hörer.
    „Arnaud, ça va?“, fragte Bertrand Kardinal Merdrignac. „Wie gefällt dir Sevilla?“
    D’Albret schluckte. „Na ja“, antwortete er bedrückt. „Eigentlich …“
    „Hauptsache, du hast Ablenkung“, unterbrach ihn Merdrignac.
    Ablenkung, so konnte man es sicher auch nennen, dachte d’Albret. Er hatte seinem früheren Vormund bereits seine Liebe zu Yvonne gebeichtet. Vielleicht sollte er die Gelegenheit nutzen und sofort reinen Tisch machen. Sich wieder alles von der Seele reden.
    „Ich will nichts von dem wiederholen, was ich alles schon gesagt habe“, erklärte der Kardinal. „Du hast alles verstanden und machst es richtig. Und Gott steht dir bei, mein Junge.“
    Das, dachte d’Albret, war seine feste Überzeugung gewesen. Bis gestern. Dass Gott ihm gestern Nachmittag beigestanden haben könnte, war ein ziemlich bizarrer Gedanke. Gott hatte ihn geprüft. Und er hatte versagt.
    „Aber Hilfe ist doch immer auch willkommen, wenn sie irdischen Ursprungs ist, nicht wahr?“ Merdrignac fuhr unbeirrt fort. „Und da kann ich dir jetzt noch einmal mit dienen.“
    „Ich bin dir schon dankbar für das, was du getan hast“, sagte d’Albret müde und war sich in diesem Augenblick nicht sicher, wie ehrlich er das meinte. „Yvonne …“
    „Yvonne hätte nicht gewollt, dass du dich quälst. Wenn sie st,t. Wenndich wirklich liebt. Und du bist nun einmal Priester. Das wolltest du schon als Kind werden. Weißt du noch, wie du damals in der Sixtinischen Kapelle auf die Erschaffung Adams geschaut und gesagt hast, man solle doch nicht mit dem Finger auf Leute zeigen? Und als ich dir erklärt habe, was Michelangelos Bild bedeutet, meintest du mit furchtbar ernstem Gesicht, dass Gott doch kein alter Mann sei.“ Der Kardinal lachte versonnen.
    Ja, für ihn hatte wirklich schon früh festgestanden, dass er Priester werden wollte. Er war zwischendurch einmal vom rechten Weg abgekommen, aber das war nur ein Intermezzo gewesen. Umso schlimmer war das, was er getan hatte. Er riss sich zusammen und versuchte erneut, das Thema zu wechseln.
    „Bertrand, ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich …“
    „Dann kann ich dir vielleicht wirklich helfen“, unterbrach Merdrignac ihn erneut. „Ich habe mir schon gedacht, dass es in Sevilla eigentlich nicht mehr viel zu tun gibt. Sonst hätten sie nicht den alten Belotti hingeschickt. Aber es gibt etwas Neues.“
    Der Kardinal machte eine dramatische Pause, die aber ihre Wirkung auf d’Albret verfehlte, weil die lästige Fliege sich in diesem Augenblick erneut auf sein Gesicht setzen wollte. Er wedelte sie mit der Hand weg.
    „Die bischöfliche Erhebung über die Fama signorum von Las Casas geht voran“, erklärte Merdrignac. „Das Wunder in Jaén soll jetzt abschließend überprüft werden. Ich werde für den Erzbischof von Sevilla als Bevollmächtigter die Erhebung begleiten. Der Bischof von Jaén hat mich als Delegaten akzeptiert.“
    D’Albret hatte verstanden, was Merdrignac ihm sagen wollte. Der Kardinal kündigte an, dass er nach Peru fliegen und zusammen mit den Fachleuten und Sachverständigen die Zeugen des Wunders und die medizinischen Experten befragen würde, den Krankheitsbericht durchgehen und so weiter .
    Aber d’Albret fragte sich, was das alles mit ihm zu tun hatte.
    „Du kommst mit“, beantwortete Merdrignac die ungestellte Frage. „Ich nehme dich als zweiten Sekretär mit nach Peru. Wir reisen zusammen. Wie früher. Wenn dich das nicht auf andere Gedanken bringt …“ Er schwieg erwartungsvoll.
    D’Albret konnte sich gut vorstellen, wie der alte Herr von seiner eigenen Idee begeistert über das ganze Gesicht strahlte. Er fühlte sich zwar ein wenig überfahren. Aber nachdem er schon so plötzlich und radikal aus seinem Leben in Génicourt gerissen worden war, was bedeutete es schon? Sevilla, Jaén, Spanien, Peru, das machte keinen Unterschied. Und mit Bertrand

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