Mythos
gegenüberzustehen.“
„Und zwar nicht nur der katholischen Kirche gegenüber, sondern Religionen im Allgemeinen“, bestätigte MacLoughlin.
„Umso besser“, flötete Fagiolo fröhlich. „Es ist nämlich so: Ich bin Untersekretär bei der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungsprozesse. Sind Sie mit den Formalien dieser Prozesse vertraut? Es gibt dabei einen sogenannten Gerechtigkeitsanwalt, der dafür sorgt, dass auch solche Leute gehört werden, die Argumente gegen die Seligsprechung haben könnten. Früher nannte man den auch Advocatus Diaboli.“
„Ach ja, jemand, der eigentlich dafür ist, aber so tun soll, als sei er dagegen.“
„So blöd sind wir auch wieder nicht“, sagte Fagiolo freundlich. „Der Gerechtigkeitsanwalt sammelt wirklich Argumente gegen die Seligsprechung. Wir nehmen das sehr ernst.“
„Um wen geht es denn? Und was habe ich damit zu tun?“, fragte MacLoughlin.
„Um Bartolomé de Las Casas, einen Dominikaner, der im 16. Jahrhundert …“
„Las Casas ist mir ein Begriff“, unterbrach ihn MacLoughlin ungeduldig. „Aber ich bin weder Historikerin, noch kenne ich mich mit diesem Mönch besonders gut aus.“
„Das ist uns klar“, sagte Fagiolo, ebenfalls ein wenig ungeduldig. „Es geht auch nicht um die Geschichte von Las Casas. Darum kümmern sich die Experten, die sich mit der Fama sanctitatis, der Tugendhaftigkeit, von Las Casas beschäftigen. Es geht um die Untersuchung der Fama signorum …“
„Hören Sie, ich bin mit meinem Latein schon lange am Ende“, sagte MacLoughlin und kurbelte das Seitenfenster herunter. „Können Sie nicht langsam auf den Punkt kommen?“
Fagiolo seufzte. „Wir möchten Sie bitten, nach Peru zu fliegen. Der Gerechtigkeitsanwalt würde Sie dort gern als mögliche Zeugin befragen, nachdem Sie die Angelegenheit untersucht haben.“
„Nach Peru?“, stieß MacLoughlin verblüfft aus. „Jetzt verraten Sie mir endlich, um was für eine Angelegenheit es sich handelt.“
„Ein Wunder“, antwortete Fagiolo. „Es geht um ein Wunder.“
MacLoughlin schwieg verdutzt. Das, dachte sie, war genau das, was sie in ihrem Leben brauchte: ein verdammtes Wunder.
Samstag, 6. Juni, Sevilla, Spanien
Eine Fliege brummte durch den Raum. Eine fette Fliege. Vielleicht kam das helle Surren aber auch nur aus der Klimaanlage, wo ein Blatt in den Ventilator geraten war? Nein, es kam näher. Entfernte sich wieder. Verharrte in der Mitte des Zimmers, etwa dort, wo die Lain t, wo dmpe hing. Kam wieder näher. Ganz nah. Dann verstummte es.
Als Arnaud d’Albret das feine Kitzeln der Fliegenbeine im Mundwinkel spürte, ekelte es ihn. Doch das Gefühl war nichts im Vergleich zu dem Ekel, den er vor sich selbst spürte. Und so ließ er das kleine, dreckige, Bazillen übertragende Insekt, wo es war. Die Begleiterin des Obersten der Dämonen Beelzebub, des Herrn der Fliegen.
Sie kletterte hinauf zu seinen geschlossenen Augen. Vielleicht würde das Tier ja versuchen, Eier zu legen. Wenn er lange genug wie tot liegen blieb, würden dann Maden schlüpfen und ihn bei lebendigem Leibe fressen? Er würde sich in ein Symbol der Vanitas verwandeln, des leeren Scheines, der Eitelkeit, des Hochmuts und des Stolzes, ein Sinnbild Superbias, eines der sieben Hauptlaster, die fälschlicherweise auch Todsünden genannt wurden.
Jemand sollte einen Spiegel vor sein von Würmern zerfressenes Antlitz halten, eine Sanduhr dazustellen, und, voilà, fertig wäre das Stillleben zur Mahnung: Memento mortis.
Aber er hatte sich nicht nur der Eitelkeit schuldig gemacht. Schlimmer noch war die Wollust. Er war den Verlockungen des Leibes erlegen. Und war es nicht einer der wichtigsten Vorwürfe der Inquisition gegenüber den Häretikern und Hexen gewesen, sie hätten aus übergroßer Wollust Geschlechtsverkehr mit dem Teufel getrieben? Eine Teufelsbuhlschaft war er eingegangen. Ausgerechnet Wollust und Hochmut. Wie hieß es noch im 1. Johannesbrief? „Wer die Welt liebt, in dem ist nicht die Liebe des Vaters; denn alles was in der Welt ist, die Lust des Fleisches, die Lust der Augen und der Hochmut des Lebens, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. Und die Welt vergeht und ihre Lust; wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit.“
Natürlich kam auch die Gier der Augen noch dazu, die Curiositas, die Neugier, die nach Augustinus ebenfalls zu den Hauptlastern gehörte.
Vielleicht sollte auch Selbstmitleid zu den Lastern gehören, dachte d’Albret. Das war nämlich das
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