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Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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Menschengedenken zerrieben wurden? Der Stift fiel ihr aus der Hand. Sie ließ auch die Blätter fallen.
    Das Geräusch eines Automotors übertönte das Zwitschern der Vögel. MacLoughlin beschattete die Augen mit der Hand.
    Der Wagen hielt direkt vor ihrer Hütte. Ihr Fahrer Da’ar Ahmed stieg aus und winkte. MacLoughlin sammelte die leeren Blätter ein und ging zu ihm hinüber.
    „Eine UN-Maschine ist gelandet“, begrüßte sie der Somalier. „Das könnte deine Chance sein, schnell hier herauszukommen.“
    MacLoughlin runzelte die Stirn. „Aber die UN fliegen Kismaayo nicht mehr an.“
    „Die Fanole Human Rights Organization hat es geschafft, einen Deal mit den Islamisten auszuhandeln“, erklärte Ahmed. „Die UNICEF organisiert eine Ladung Nahrungsmittel für die Flüchtlinge, aber die Al-Shabaab kontrollieren die Verteilung.“
    „Das bedeutet, dass die Lieferung die Flüchtlinge vielleicht nicht erreicht, oder?“
    Ahmed zuckte mit den Schultern. „Die Gefahr besteht.“
    Sie eilten in die Hütte. MacLoughlin schob einen großen, flachen Stein in einer Ecke des Raumes zur Seite und holte ihr Notebook sowie ihre Unterlagen aus dem Loch darunter hervor. Ahmed packte alles in eine Segeltuchtasche, die über seiner Schulter hing. „Wir sollten uns beeilen“, sagte er. Er reichte ihr ein Satellitentelefon. „Hier, ich habe es wieder aufgeladen.“
    Sie bogen in eine der nördlichen Nebenstraßen von Kismaayo ein und rasten Richtung Südwesten, bis sie auf die Hauptstraße stießen, die die Hafenstadt mit Baalgudde und Kolbio an der Grenze zu Kenia verband.
    MacLoughlin hob das Telefon ans Ohr. „Sean, ich bins“, begrüßte sie ihren Kollegen Baker in der Redaktion der Irish Times in Dublin. „Ich komme zurück.“
    „Mann, da bin ich aber froh. Wir haben uns Sorgen …“
    „Mir geht es gut.“ MacLoughlin spürte plötzlich, wie müde sie war. Sie schloss die Augen.
    „Warst du die ganze Zeit in Kismaayo?“, fragte Sean. „Reuters und Amnesty haben eine Meldung gebracht, dass dort eine 23-jährige Frau gesteinigt wurde.“
    MacLoughlin kniff die Augen fest zu, bis Sterne unter ihren Lidern tanzten.
    „Ich war dabei“, sagte sie leise. „Das Mädchen war nicht 23, sondern 13 Jahre alt.“
    „Scheiße“, sagte Sean. „Das müsstest du schnell machen.“
    „Ich habe in den vergangenen Tagen mit den Angehörigen gesprochen. Es ist eine unglaubliche Geschichte. Die junge Frau ist von drei Männern vergewaltigt worden, hat die Tat angezeigt und die Anwendung der Scharia gefordert. Danach wurde sie von den Angehörigen der Täter bestochen. Sie hat die Anzeige zurückgenommen, weil sie das Geld zur Behandlung ihrer Epilepsie dringend brauchte. Aber weil sie nach eigenen Aussagen also nicht vergewaltigt worden war und Geld nehmen wollte, hat das islamische Gericht ihr Ehebruch und Erpressung vorgeworfen und – wie sie es gewünscht hatte – die Scharia angewandt. Das Urteil hieß deshalb Steinigung.“
    „Großartig“, rief Sean. „Hier hat übrigens jemand vom Vatikan für dich angerufen.“
    MacLoughlin öffnete dieso öffnet Augen einen Spalt weit. „Vom Vatikan? Wieso denn das?“
    „Keine Ahnung. Ich gebe dir seine Nummer.“
    MacLoughlin speicherte die Nummer in ihrem Gedächtnis. Dann verabschiedete sie sich von Baker.
    Okay, dachte sie. Sie würde sich zusammenreißen. Jedenfalls diesmal noch. Aber sie würde nicht über die Steinigung selbst schreiben. Das konnte sie nicht. Mit dem, was sie über die Hintergründe der Hinrichtung erfahren hatte, würde sie trotzdem einen guten Bericht abliefern, der ein scharfes Licht auf diese Heuchler an den islamischen Gerichten werfen würde. Die hatten noch nicht mal die Vorschriften der Scharia eingehalten. Das Mädchen hatte keine Möglichkeit bekommen, sich zu verteidigen oder Berufung einzulegen.
    Einige Angehörige waren im Stadion gewesen und hatten versucht einzugreifen. Mit tödlichen Folgen für einen kleinen Jungen, der von der Miliz versehentlich erschossen wurde. Warum, fragte sich MacLoughlin, nahm jemand einen Jungen mit zu einer Hinrichtung?
    Und warum, dachte sie, ruft mich jemand aus dem Vatikan an? Sie nahm das Satellitentelefon und tippte die Nummer ein, die ihr Baker gegeben hatte. Bereits nach dem ersten Klingeln wurde abgehoben. Es meldete sich ein Monsignore Fagiolo.
    „Mrs. MacLoughlin“, begrüßte Fagiolo sie auf Englisch. „Danke, dass Sie zurückrufen. Sie haben doch den Ruf, der Kirche besonders kritisch

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