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N. P.

N. P.

Titel: N. P. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Banana Yoshimoto
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der Zweig einer Trauerweide im Nachtwind.
    »Warum hast du denn mitten in der Nacht eine Sonnenbrille auf?« fragte ich sie.
    »Ist doch häßlich, so’n verheultes Gesicht«, sagte sie mit weinerlicher Stimme.
    Aus der Papiertüte, die sie in der Hand hielt, lugte eine Weinflasche hervor, was mich zu der Bemerkung veranlaßte: »Wenn du mich jetzt damit schlägst, werd ich kaum lebend davonkommen!«
    »Ach, Quatsch!« verteidigte sich das verheulte häßliche Entlein plötzlich mit flatternden Flügelchen und breitem Lachen. Als ihr Mund auf »Smile« stand, atmete ich auf. Ich hasse es, wenn jemand weint.
    »Ich hab auf dem Weg hierher schon mal vorgetrunken.«
    »Aus der Flasche? Du hältst dich wohl für einen Filmstar oder was?« bemerkte ich ironisch und klopfte ihr dabei auf die Schulter, worauf sie entgegnete: »Ich muß dich leider enttäuschen: Ich habe Pappbecher!« Und wieder mußte sie lachen.
    Einfach schön war das!
    »Klingt ja nicht gerade einladend!«
    »Ist doch egal. Außerdem komme ich gerade von einem Superplatz zum Saufen. Dahin wollt ich dich abschleppen. Hast du Lust? Oder ist dir eine Kneipe lieber?«
    »Nein, nein, laß uns hingehen. Sag schon, wo ist es?«
    »Aufregend unheimlich, sag ich dir. Ohne eine Menschenseele«, sagte Sui. »Aber du bist mit Sicherheit schon öfter dagewesen.«
    »Wo denn bloß …?« Ich überlegte.
    »Mir nach!«
    Es war Wochenende, und auf den Straßen tummelten sich ziemlich viele Menschen. In der Nachtluft lag eine volksfestartige Lebendigkeit. Wir schlenderten durch die Straßen, in unseren leichten Klamotten, als ob wir nichts Besonderes vorhätten, und wurden deshalb ein paar Mal angemacht, ließen uns jedoch nicht ablenken.
    »Sommerende ist so toll, so ausgelassen, findest du nicht? Ganz schön blöd von Otohiko, diese Zeit einfach zu verpennen!« sagte Sui. Sie trug eine rote Bluse, die wunderbar zur Dunkelheit paßte.
    »Na ja, diese Nerven braucht man sicher auch, um es mit dir aushalten zu können!«
    »Ja, du hast recht. Man darf nicht so egozentrisch sein!«
    Sui lachte.
    Immer, wenn man über die beiden redete, als handelte es sich um ein ganz normales Paar, blieb ein bitterer Nachgeschmack zurück.
    »Wo ist es denn nun?«
    »An der einen Ecke der Kreuzung im sechsten Bezirk ist doch der große Supermarkt? Da in der Nähe.«
    »O je!« sagte ich. »Da ist auch das Appartementhaus, wo Shōji gewohnt hat.«
    »Willst du nicht mehr?« fragte Sui.
    »Doch, es interessiert mich. Ich war ganz lange nicht mehr da«, antwortete ich.
    Sobald man von der Hauptstraße abbog, wurde einem vor Finsternis buchstäblich schwarz vor Augen.
    »Hier ist es.«
    Da lag das vertraute Appartementhaus, in Dunkelheit gehüllt, mit weißen Bauplanen überzogen. Keines der Fenster, die man von der Straße aus sehen konnte, war erleuchtet. Mhm, fragte ich mich, Umbau oder Abriß und Neubau?
    »Ich habe ihn öfter hier besucht, aber er hat nicht ein einziges Mal mit mir geschlafen – weil es nicht fair dir gegenüber wäre, hat er gesagt. Ist doch eine erfreuliche Nachricht, oder?«
    »Ach, das ist jetzt so lange her …«
    Mein Blick wanderte langsam an dem dunklen Gebäude empor. Unten im Erdgeschoß war die Reinigung, daneben der Eingang. Ein klobiges, graues, dreistöckiges Appartementhaus. Shōjis Zimmer hatte sich im zweiten Stock befunden, und von seinem Fenster aus, egal ob mitten in der Nacht, im Morgengrauen oder am hellichten Tag, sahen die Straßen immer friedlich-klein aus. So ruhig, als läge man bei Shōji selbst im Fenster. Ich konnte prima schlafen. So gut wie damals werde ich mein ganzes Leben nicht mehr schlafen können, davon bin ich überzeugt!
    »Also. Eben, als ich heulend umherirrte, hab ich entdeckt, daß man aufs Dach steigen kann«, verkündete Sui.
    »Wahnsinn!« sagte ich. »Als ob wir auf Expedition wären!«
    »Mutprobe könnte man es auch nennen, oder? Wenn ich jetzt ganz alleine wäre, würde ich es jedenfalls sofort mit der Angst zu tun bekommen«, sagte Sui.
    Wir gingen auf den Eingang zu – ein stummer, pechschwarzer Schlund. Unsere Schritte dröhnten überlaut in der Dunkelheit, die uns zu verschlucken schien. Die Flecken an der Wand beim Treppenabsatz, auf die immer das Mondlicht fiel, erkannte ich wieder. Wie bei Erinnerungen aus frühester Kindheit war nur diese eine Stelle frisch geblieben in meinem Gedächtnis.
    Hier zu wohnen war mein Jungmädchentraum gewesen. Ich dachte gar nicht an Heirat oder so was, nicht mal daran, bei ihm

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