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N. P.

N. P.

Titel: N. P. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Banana Yoshimoto
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arm, in der Pubertät, voller Lebenshunger und hing in einer schlechten Gegend der Stadt fest. Wo Mutter abgeblieben war, wußte ich nicht. Alles war durcheinander, und ich war ziemlich verwirrt, konnte nicht mehr zwischen richtig und falsch unterscheiden. Nur Energie hatte ich mehr als genug, sie sprudelte mir aus allen Poren. Ich mochte Vater, seinen Typ. Schuldgefühle hatte ich, glaube ich, überhaupt keine. Vater scheint welche gehabt zu haben. Aber es wäre sowieso bald mit ihm zu Ende gegangen, auch wenn er mich nicht getroffen hätte. Und daß wir wenigstens die paar vertrauten Stunden zusammen verbringen konnten, war gut so, denke ich.«
    »Ein bißchen zu vertraut, findest du nicht?« meinte ich, und Sui mußte lachen.
    »Ja, mag sein, aber das ist meine Art. Japan ist so wohlgeordnet, und doch ist es hier unmöglich, Gut und Böse voneinander zu unterscheiden, man fühlt sich ständig beobachtet, aber die ganze U-Bahn ist voller Grabscher. Und dann trifft man wieder auf irgendeine Tante, die einem angst macht vor lauter gutgemeinter Freundlichkeit, einen sogar zum Weinen bringt – ach, ich begreif das alles nicht! Zum Kotzen ist es. Aber ich hab das Gefühl, es ändert sich etwas, man selbst wird ja schließlich auch älter. Kaum ertragen kann ich das alles, und doch meine ich, ich schaff es irgendwie.«
    »Die heimgekehrte Tochter sagt ihrem Land die Meinung.«
    »Ja, vielleicht«, sagte Sui. »Ich hatte immer und immer das Gefühl, schon froh sein zu müssen, wenn ich da, wo ich am Abend zuvor einschlief, auch wieder aufwachen würde.«
    »Für mich wär das ganz schlimm, ich würde garantiert die Nerven verlieren«, sagte ich. »Ich will jede Nacht im selben Bett schlafen, in meinen eigenen vier Wänden.«
    »Das hab ich jetzt erreicht. – Ein Leben zu führen, das nicht nur aus bloßem Überlebenskampf besteht«, sagte Sui. Bitte, erzähl sie mir nicht in allen Einzelheiten, dachte ich inständig, die Geschichte deines Innenlebens von so selbstverständlicher Traurigkeit, daß sie schon fast billig klingt.
    »Jetzt mach nicht so ein angeödetes Gesicht, ich bin schließlich aus Fleisch und Blut. Das sind doch alles wahre Geschichten, jede für sich. Wenn sie auch noch so nach irgendwelchen Erzählungen klingen, die du irgendwo aufgeschnappt hast – jetzt und hier sind es meine Worte, live, nur für deine Ohren bestimmt!« sagte Sui plötzlich. Ich erschrak.
    »Entschuldige. Hab ich ein so verzweifeltes Gesicht gemacht?«
    »Ja, und zwar als wolltest du sagen, ›jetzt fang du nicht auch noch an, mir abgeschmacktes Zeug zu erzählen‹.« Sui lachte. Ihre schmalen Augen blitzten.
    »Hast du schon mal wirklich geliebt?«
    »Ja … bild ich mir zumindest ein, aber ich weiß noch nicht recht. Bei Shōji war es echt, glaube ich, aber er ist ja gestorben, noch bevor wir uns einmal richtig streiten konnten«, sagte ich. »Aber was ist los? Du redest plötzlich, als wärst du meine ältere Schwester!«
    »Irgendwie bin ich anders als die Leute, die ich kennengelernt hab, seit ich hierher gekommen bin, Otohiko eingeschlossen. Ich gehör nicht dazu. Ich dachte immer, die Menschen wären viel … komischer, hinterhältiger, fieser, verzweifelter, und auch edler, trügen diese unendliche Bandbreite an Möglichkeiten in sich. Das Leben ist wunderbar, die Liebe ist wunderbar. Ob ich mich übertrieben weiblich gebe, mich stark fühle oder klein und schwach, einen Riesenkrach veranstalte und brülle, bis ich heiser bin, und danach in aller Eintracht mit ihm den Mond betrachte. Obwohl ich dieselben Dinge tue, ist das Gefühl jeden Tag anders. Ob ich weine oder andere terrorisiere … Aber all das bin ich! Jedesmal, wenn ich jemanden besuche, den ich gerne mag, ganz gleich, wer es ist und wie oft ich schon da war, ich zieh mir immer was Besonderes an. Ich funktioniere nicht nach rationalen Regeln, bei mir ist alles Instinkt!« Sui lachte. »Aber du, verlieb dich wieder, so richtig! Ich würde dich ja gerne einweisen, aber ich bin leider vom selben Geschlecht.«
    »Hast du etwa keine lesbischen Erfahrungen?« fragte ich, nun doch ein bißchen klopfenden Herzens.
    »Frau hats zwar schon bei mir versucht, aber – nein. Eigentlich schade – dann wär ich nämlich dreifacher Meister!«
    Ich bekam einen Lachanfall. Außerdem begann der Alkohol allmählich zu wirken. Die funkelnde Nacht kam auf mich zu, näher und näher.
    »Ich hab dich gern. Du beruhigst mich, ich bin aber auch irgendwie aufgeregt, wenn ich mit dir

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