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N. P.

N. P.

Titel: N. P. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Banana Yoshimoto
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an die Oberfläche steigen. Die Wohnviertel an den Hängen. Ich dachte: Es ist wieder Abend. Aah, ich werde wach! – Mit einem Gefühl wie nach dem ersten Glas Bier, wenn man endlich merkt: Aah, heute ist wieder ein Tag. Ich lebe und habe gelebt! Vielleicht bin ich auch ständig von irgend etwas besessen. Ich dachte nicht an so was wie schizophrenen Verfolgungswahn, sondern an echte Besessenheit, und mir schien, als hätte ich allen Grund, mich zu fragen: War ich überhaupt jemals frei davon?
     
    Ich klopfte an – keine Reaktion. Also drehte ich am Türknopf. Es war nicht abgeschlossen. Die Wohnung war hell erleuchtet – aber leer. Die alte Balkontür mit Metallrahmen stand offen. Das Stück tiefblauer Abendhimmel, das man darin sehen konnte, wirkte wie ausgeschnitten.
    Ich trat einen Schritt näher und sah Sui in einer Ecke des Balkons stehen. Sie rauchte, was sie sonst nie tat. Der Wind wehte ihr Haar hoch, als hätte man den Film angehalten.
    »Guten Abend!« sagte ich.
    Sie drehte sich um und sagte: »Hallo, komm rein.« Blaß hob sich ihr Schatten von der Farbe des Himmels ab. Ihre Lippen waren weiß, die Augen rot.
    »Das Wäschereinholen hat mich plötzlich so geschafft«, sagte sie.
    »Nur keine Umstände!« sagte ich und setzte mich kurzerhand auf den Boden, da, wo ich stand. Im gleichen Moment schrie Sui auf: »Ah!«
    »Was ist?« fragte ich und erhob mein Hinterteil wieder.
    »Warum setzt du dich denn auch ausgerechnet da hin!
    Genau auf den Kaffeefleck!« sagte sie. Als ich an mir heruntersah, zeichnete sich klar und deutlich ein bräunlicher Fleck auf meinen weißen Shorts ab.
    »Das sieht ja aus, als hätte ich in die Hose gemacht! Und zwar reingeschissen! « Ich war der Verzweiflung nahe.
    »Gerade eben hab ich da die Kaffeekanne umgerannt. Hab vergessen aufzuwischen«, sagte sie und lachte sich kaputt. »Mensch, ist das komisch! So ’n Zufall! Komm, zieh die Hose aus, wenn man sie sofort wäscht, geht der Fleck auch raus.«
    »Kannst du mir was zum Anziehen leihen?«
    »Hier, zieh das an.«
    Sui zog einen schwarzen Rock aus Sweatshirt-Stoff aus dem Korb mit der Wäsche, die sie offensichtlich gerade von der Leine geholt hatte. Ich zog mich im Bad um. Sui warf meine Shorts in die Waschmaschine und drückte auf den Knopf, um sie anzustellen.
    »Tut mir leid«, sagte sie und breitete über den Kaffeefleck auf dem Boden einen Putzlappen aus. »Sozusagen als Zeichen, daß man sich hier nicht hinsetzen soll.«
    »Bißchen spät, findest du nicht?« sagte ich. Das emsige Brummen der Waschmaschine erfüllte den Raum.
    »Wäschst du gern?« fragte ich.
    »Ja. Ich mag das Geräusch«, antwortete sie.
    »Ach, die Blumen und der Kuchen!«
    »Lilien! Ich liebe Lilien! Sie ähneln mir, findest du nicht?« sagte sie und umarmte den Strauß.
    »So sehr nun auch wieder nicht.«
    »Meinst du nicht …?«
    Aber in Wahrheit dachte ich, daß sie ihnen doch ein wenig ähnelte. Dieser intensive Duft nämlich und der penetrante Blütenstaub, der sofort an den Kleidern klebt und kaum wieder abzukriegen ist.
    Aber da Sui so leise vor sich hin lachte, verpaßte ich wie ein schüchterner fünfzehnjähriger Junge die Gelegenheit, ihr das zu sagen.
    Gläserne Augen. Klirrend kalte Pupillen, in denen sich von allem nicht mehr und nicht weniger als die Form spiegelte. An diesem Tag war Sui sanft. Sanft verströmte sie die Zärtlichkeit eines ganzen Menschenlebens. Sanft erwärmte sie die Luft und gab sie an die Außenwelt ab – so wirkte es jedenfalls.
    In der Tat, eine Lilie.
    Süßer Duft – nach dem Sirup eingedickter Verzweiflung.
    »Irgendwie, seitdem ich das aus der Hand gegeben habe, fühle ich mich merkwürdig erleichtert«, sagte Sui, während sie die Lilien in eine leere Flasche steckte und auf den Tisch stellte.
    »Die Kopie, meinst du?«
    »Ja. Kommt dir das komisch vor? Es war wohl die letzte Festung meiner Naivität – wie trunken bin ich durch die Straßen gewandelt, berauscht von dem Bewußtsein, etwas zu verbergen. Etwas, von dem außer mir niemand weiß, dieses Gefühl, verstehst du, nur unbewußt zwar, aber … Ich war so verwirrt, daß mir meine eigenen Wertvorstellungen nicht mehr klar waren.«
    »Das ist wirklich komisch«, sagte ich. »Bisher hast du dich doch prima alleine durchgeschlagen. Das Manuskript – das war höchstens sowas wie ein Talisman, mehr nicht.
    Du bist ein Mensch, der es überall schafft, egal, wo du bist – hier, in Afrika oder in Indien.«
    »Ja, vielleicht hast du recht«, sagte

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