N. P.
Sui und lachte. »Ich glaub, ich hab mein Selbstvertrauen wieder, ein kleines bißchen jedenfalls.«
Aus Ärger darüber, auf sie eingeredet zu haben wie auf ein Kind, das getröstet werden muß, setzte ich noch einen drauf. »Das kannst du auch, du wirst stark sein, was immer auch geschieht. Du bist nicht der Typ, der durchdreht und verrückte Sachen macht. Du gehörst zu denen, die zuletzt lachen, ganz bestimmt. Du hast Lebenskraft und Talent. So sehe ich dich, und ich hab dich schließlich einen ganzen Monat aus nächster Nähe erlebt. Du hast zwar deine Probleme, aber du bist geradlinig wie sonst niemand, den ich kenne.«
»Danke.« Sui lächelte. Wieder dieses schmale Lächeln. Endlich erinnerte ich mich: So ähnlich hatte Shōji mich immer angelächelt. Resignierte Herzlichkeit. Hartnäckigkeit, die sich nicht beeinflussen ließ. »Ja, aber – Talent, Anziehungskraft und das alles – das frißt einen doch nur auf. Es geht irgendwo in der Menschenmasse unter, wird klein gehalten, erstickt, stirbt schließlich ab – glaub mir«, sagte Sui.
»Aber bevor es soweit kommt, kann so viel passieren, was alles ändert. Du bist bloß erschöpft, sonst nichts!«
»Ja, kann sein. Wann hab ich bloß aufgehört, die Dinge so umfassend zu sehen? Als ich Otohiko kennenlernte? Oder als ich mich mit Mutter verkracht hab? Als ich mit Vater geschlafen hab? Als ich mich von Shōji getrennt hab? Seit ich mich auf der Arbeit betatschen lasse? Seit ich nach Japan gekommen bin? Ich weiß es nicht mehr, es ist alles eins.«
»Du bist erschöpft. Siehst auch ziemlich schlecht aus.«
»Ehrlich gesagt, ich bin schwanger.«
Ich war platt. »Seit wann? Bist du sicher?«
»Absolut. Gestern war ich beim Arzt.«
»Ist es von Otohiko?«
»Weiß ich nicht, aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch. Fast hundertprozentig, glaub ich.«
»Ja, aber … besonders erfreulich ist das ja nicht gerade, oder?« sagte ich. Um den heißen Brei herum.
»Du meinst, ich muß es abtreiben lassen?« sagte Sui, nicht sehr überzeugt.
»Gibt es eine Alternative?«
»Wahrscheinlich hast du recht …«, sagte Sui und verfiel in nachdenkliches Schweigen. Ich schwieg auch. Als ich nach einiger Zeit wieder den Kopf hob, um irgend etwas zu sagen, hatte Sui die Augen geschlossen.
Als ob sie dem Rauschen eines Windes lauschte, der nicht von dieser Welt war.
Was sie wohl hören mochte? … dachte ich und wurde traurig.
Obwohl sie doch leibhaftig vor mir saß, wirkte die Farbe der Sommersprossen, die wie Erinnerungen an das kleine Mädchen über ihre seltsam weiße Haut verstreut waren, und auch das pastellfarben durch die geschlossenen Lider scheinende Rosa wie gefangen im Sucher einer Kamera oder in einem Bilderrahmen … Es war das erste Mal, daß ich mir Suis Gesicht so genau ansah. Man konnte ihr womöglich gar nicht direkt ins Gesicht sehen, wenn ihre Augen offen waren, weil deren Eindruck so überwältigend war. Oder es waren gerade die Farbe und das Funkeln dieser Augen, die vielleicht schon alles über sie verrieten.
Doch was in jenem Augenblick durchschimmerte, war die Farbe der Niederlage, diese seltsame Schattierung der Resignation, die Menschen in großer Bedrängnis anhaftet, Menschen, die einfach müde sind.
Da plötzlich riß sie die Augen auf, zog die Mundwinkel sachte nach oben und sagte mit einem Ausdruck von Glück: »Es ist mir zwar peinlich, aber ich möchte so gerne noch einmal einen ›Vater‹ sehen.«
»Einen ›Vater‹?«
»Ja, meine Vorstellung von einem Vater: mit einem Baby auf dem Arm, das er an sich drückt und wiegt, für das er am Abend früh nach Hause kommt, von dem er Videos dreht, die er sich anschaut, um das er sich ängstlich sorgt, wenn es Fieber hat. Und wenn es nachts schreit, beschwert er sich zwar bei seiner Frau, kann aber dem Kind gegenüber kein böses Wort herausbringen – so ein Vater. Weil ich mir nicht zutraue, Mutter zu sein.«
»Und Otohiko kannst du dir so vorstellen?«
»Hhmm … eher nicht. Nein, das war meine allgemeine Vorstellung von einem ›Vater‹. Ich möchte so gerne noch einmal die kurze Zeit erleben, wenn ein Mann ganz Vater, das Kind noch richtig klein ist. Ob ich mir das von Otohiko wünsche oder nicht, weiß ich selbst nicht genau. Wahrscheinlich wünsche ich es mir so sehr, daß ich schon so tue, als hätte ich gar kein Interesse daran.«
Ich glaube, an dieser Stelle habe ich geweint.
Je mehr ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, die Tränen nicht herunterlaufen zu
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