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N. P.

N. P.

Titel: N. P. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Banana Yoshimoto
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Auch meine Reaktion darauf, dieses schmerzliche Gefühl, war mir nicht neu. Aber ich konnte nicht sagen, an was es mich erinnerte.
    Einen Augenblick später konnte man wieder ihr ganz normales Strahlen bewundern, mit dem sie sagte: »Ja, tatsächlich, die Kontur«, als sie Sakis Nase mit dem Zeigefinger plattdrückte.
     
    Nachdem wir uns verabschiedet hatten, sagte Saki mit verwunderter Miene: »Komisch, daß wir uns nicht schon früher so wie heute über den Weg gelaufen sind.«
    »Wahrscheinlich hat Gott beschlossen, daß gerade jetzt die rechte Zeit ist für euch«, antwortete ich, und sie sagte: »Ich bin immer dieselbe geblieben.«
    »Wenn du meinst.«
    »Es ist schließlich Otohikos Leben.« Saki lachte. Und sagte dann: »Aber um Sui hab ich Angst. Sie ist so hilflos.
    Nachdem man sie getroffen hat, beschleicht einen so eine Art Reue. Das war bei ihr schon immer so.«
    »Ja, weil sie immer herumwandelt, als würde sie jeden Moment entschwinden. Da denkt man, man sieht sie vielleicht nie wieder.«
    Als ich mich umsah, war sie mit ihrer gelben Bluse schon zu einem Punkt geschrumpft, der sich im Straßengedränge verlor.
    Wie ein Luftballon, der langsam davonfliegt.
    Und wir beide sahen ihm nach.

 
     
     
    W as danach passierte, kann ich auch heute noch nicht in die passenden Worte übersetzen. Aber vielleicht wird Otohiko es ja eines Tages niederschreiben, tausendfach besser als ich.
    Eigentlich konnte ich schon die Anfänge von all dem, was in jenem Sommer geschah, nicht gut beschreiben. Sicher sind nur die brennenden Strahlen der Sonne – und dieses überwältigende Gefühl der Abwesenheit … meiner Person. Meines Standpunkts, der Rolle, die ich spielte. Meiner ureigensten Gefühle und ihrer Bedeutung. Mir ist, als sei ich der Sommer gewesen, der Sommer, der jener Frau zusah, wie sie eine einmalige, nicht zu wiederholende Erfahrung machte. Jener Frau namens Sui.
    Ich selbst ging auf in der Atmosphäre, die sie umgab, ich atmete jene unergründliche Traurigkeit ein, die ich noch heute in meiner Brust zu spüren glaube. Ich sah einem Menschen mit verhängnisvollem Schicksal, mit einer Seele, die dieses Schicksal heraufbeschwor, dabei zu, wie er seine Liebe durchzusetzen versuchte, mit allen erdenklichen Raffinessen.
     
    Worin unterscheiden sich Vater und Otohiko?
    Es gibt so viele Männer auf der Welt, warum ausgerechnet die nächsten Verwandten?
    Die perfekte Liebe gibt es sowieso nicht, und Otohiko wäre auch nur froh, wenn wir uns endlich trennen würden.
    Kannst du von dir behaupten, daß dein bisheriges Leben gut verlaufen ist? Daß du bisher noch nichts Positives erlebt hast, ist deine eigene Schuld. Du hast Fehler gemacht.
     
    Aus diesem Geflüster wählte Sui aus. Und glaubte. An das Hecheln ihrer mysteriösen, trotz ihrer Dreistigkeit zerbrechlichen Seele, an den Glanz der Intuition.
    Sie war wie ein ausgesetztes Katzenjunges, das in der Gosse schwimmt und erbärmlich schreit – diese dämonische, archaische Überlebenskraft. Von der Shōji zu wenig besessen hatte. An die Otohiko und ich nicht genug glaubten und auf die wir deshalb nicht setzen konnten.
    Sui dagegen hielt konsequent daran fest. In der für sie typischen Art. Und ich schaute dabei zu, in jenem Sommer, aus nächster Nähe.
    ICH
    sah
    SUI.

 
     
     
    K annst du bitte vorbeikommen? Ich weiß nicht mehr weiter«, sagte Sui weinerlich. Schon wieder! dachte ich.
    »Was ist denn los? Ist Otohiko nicht da?«
    »Ach, der!« sagte sie, und plötzlich war die Weinerlichkeit wie weggeblasen. »Du wirst lachen, aber der ist Zelten gefahren.«
    »Zelten?« Ich mußte tatsächlich lachen. »So mit Lagerfeuer und so?«
    »Ja. Ein paar unserer Freunde aus Amerika sind gerade in Japan und wollten sich ein bißchen die Gegend ansehen. Vor drei Tagen oder so sind sie dann alle zusammen weggefahren.«
    »Komisch, Otohiko hat manchmal wirklich jungenhafte Eigenarten!«
    »Ja, scheint so. Aber ich muß dir was sagen. Kannst du rüberkommen?«
    »Ja, okay. Ich hab ja Zeit!«
    Wir hatten uns weder getroffen noch miteinander telefoniert, seit ich ihr mit Saki über den Weg gelaufen war. Ich besorgte Blumen und Kuchen und machte mich auf den Weg.
    Es war Abend, gerade die Zeit, wo sich in den Häusern allmählich bläulich die Dämmerung breitmacht und man das Licht einschaltet. In letzter Zeit ging es mir wie einem Alkoholiker. Es war immer schon Abend, ehe ich richtig zu Bewußtsein kam. Die Lichter der Stadt, die in der Abenddämmerung nach und nach

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