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N. P.

N. P.

Titel: N. P. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Banana Yoshimoto
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meinst du vielleicht, das wäre lustig? Dieser Sommer war doch so schön. Wir haben gelacht, so oft, haben einfach alles vergessen und gelacht oder geweint, weißt du nicht mehr? Wenn du stirbst, vergeß ich alles, sofort, hörst du! Das wär doch schrecklich, oder?!« Wie ein Maschinengewehr wollte ich all diese Worte abfeuern, um sie zurückzuhalten, aber als krasser Gegensatz zu dem Trommelwirbel in meiner Seele schritt die Lähmung meines Körpers fort – ich konnte Sui nicht erreichen. Heraus kam bloß so was wie »… ist … das … Tod …«
    Sui stand unvermittelt auf, sah mich kurz an und entschwand Richtung Wohnungstür. Und ich begriff. Mit der Leuchtkraft eines Blitzschlages erhellte mich kristallklare Gewißheit.
    Ich werde sie nie wiedersehen, dachte ich, ja wußte ich.
    Von hinten glich sie einer Lilie. Ja, tatsächlich, du ähnelst einer Lilie – das hätte ich ihr sagen sollen! Ich bereute, es nicht getan zu haben.
    Da drehte Sui sich um. »Wie? Lilie?« sagte sie. »Hast du Lilie gesagt?«
    Wie ich das geschafft habe, weiß ich selbst nicht genau. Ratsch, als wäre mein wie mit Patex am Boden festklebender Körper plötzlich abgerissen worden – einen solchen Schmerz spürte ich.
    Ganz langsam gelang es mir aufzustehen. Bei Bewußtsein war ich kaum. Ich fühlte mich eher wie auf Seelenreise (hab ich zwar noch nie erlebt, aber … ), ja, ganz deutlich, als ob sich meine Seele selbständig gemacht hätte und aufgestanden wäre.
    Meine Augen waren geschlossen. Aber ich fühlte, daß Sui immer noch genauso dastand und mich ansah.
    »Waah, wie Glenn Close in ›Eine verhängnisvolle Affäre‹«, sagte Sui. »Wieso kannst du bloß noch aufstehen?«
    Ich glaube, weil die Wirkung des Mittels noch nicht meinen ganzen Körper erfaßt hatte. Medikamente haben bei mir schon immer schlecht angeschlagen. Gleichzeitig aber spürte ich in mir ein unbestimmtes heftiges Pulsieren. Etwas Verzweifeltes, etwas wie die Fragen, die immerzu leise in mir bohrten, schon seit Kindertagen, die vielen Dinge, an die ich Tag und Nacht denken mußte, seit Shōji gestorben war, sein Gesicht, das mir immer wieder erschien, seit ich Sui begegnet war, das Gefühl, das ich ihr gegenüber empfand, das Lächeln von Saki und Otohiko, die Trauer um diesen Sommer. Die Wehmut, die einen befiel, sobald man mit Sui zusammen war, die aber auch meine eigene war, diese seltsame, blödsinnige Irritation. Die blendenden, stechenden Sonnenstrahlen, als ich sie zum ersten Mal sah. Der Teich, das Glitzern der Wasseroberfläche. Wie sich ihre Hand anfühlte, als sie meine drückte. Wie es sich anhörte, wenn sie sich durchs Haar fuhr. Sommer – dieser Sommer mit Sui, die flackernde Farbe, die der Raum annahm, wann immer sie da war. Der Ort auf der anderen Seite ihres Lebens.
    Trauer.
    »Schade!« sagte ich klar und deutlich, glaub ich zumindest. Vielleicht hatte ich aber auch keinen Ton herausgebracht. Trotzdem war Sui getroffen, mitten ins Herz. Sie riß die Augen weit auf. Die Energie meines Gedankens schien sich auf sie übertragen zu haben.
    »Schade, sagst du?« Sie zog die Schuhe wieder aus, kam auf mich zu, umarmte mich und gab mir einen Kuß.
    Ein kurzer, aber intensiver Kuß auf den Mund. Benommen dachte ich mit schwindendem Bewußtsein: »Eine Frau hat mich so noch nie geküßt!«
    Als ob sie das gehört hätte, sagte Sui: »So. Jetzt bin ich dreifacher Meister!« und lachte.
    Ich schlief ein.

 
     
     
    I ch wachte auf, weil mich jemand heftig schüttelte. Sofort spürte ich die wahnsinnigen Stiche. Ich dachte allen Ernstes, es steckte mir ein Messer im Kopf. Stechender Schmerz drückte mich zu Boden. Mein Mund war strohtrocken.
    »Was …«, sagte ich.
    »Was hast du bloß geschluckt?« Es war Otohiko. Er sah mich an, als wolle er mich jeden Augenblick auf die Schultern nehmen und ins Krankenhaus bringen. Ich schüttelte den Kopf und sagte: »Schon in Ordnung.« Da traf mich der nächste Stich. Vor Schmerz verzog ich das Gesicht.
    »Mein Kopf tut vielleicht weh!«
    »Möchtest du einen Schluck Wasser?«
    Ich nickte, und Otohiko brachte mir ein Glas. Als ich die lauwarme Flüssigkeit in großen Schlucken trank, merkte ich endlich, daß ich nicht zu Hause war. Und da …
    … fiel mir alles wieder ein.
    »Wo ist Sui?«
    »Verschwunden«, sagte Otohiko. Mit einer Miene, als breche er gleich in Tränen aus. »Sie ist weg. Das weiß ich. Aber was ist denn passiert?«
    Endlich konnte ich aufstehen. Alles war so wie vorhin: die offene

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