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N. P.

N. P.

Titel: N. P. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Banana Yoshimoto
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Balkontür, der Wäschekorb, meine Shorts an der Leine, der leere Teller. Nur Sui war nicht mehr da. Ich fühlte mich elend. Im Stich gelassen. Ein Gefühl, wüst und leer, wie nach einem rauschenden Fest. Ich wollte weinen, konnte aber nicht. Ich glaube, das Ganze war eher physisch. Wenn ich den Kopf auch nur einen Millimeter bewegte, raste der Schmerz los und nahm meinen ganzen Körper mit.
    »Wieviel Uhr ist es jetzt?«
    »Zwei Uhr früh.«
    »Ich bin abends hierher gekommen. Sui war völlig fertig. Sie eröffnete mir, daß sie schwanger sei. Hast du das gewußt?« fragte ich ihn.
    Sofort, als wäre ein Damm gebrochen, sprudelte es aus ihm heraus: »Daß die Möglichkeit bestand, wußte ich. Ich sagte, du kannst es nicht zur Welt bringen. Wir entschlossen uns, alles zu besprechen, sobald ich wieder da wäre. Aber uns war beiden schon klar, daß wir einen Punkt erreicht hatten, wo nichts mehr ging, glaube ich, und daß, wenn noch ein Problem dazukäme, keiner von uns es noch weiter würde ertragen können. Das muß sie auch gewußt haben. Daß wir es überhaupt bis jetzt geschafft haben, grenzt ja schon an ein Wunder! Ich hatte keine Angst davor, daß sie mir sagt, sie will das Kind haben. Aber ich hatte das Gefühl, sie selbst wollte es eigentlich nicht zur Welt bringen. Jedenfalls konnten wir nichts klar entscheiden. Und so, in dem Gefühl, das Thema Trennung schon angesprochen zu haben, aber ohne etwas eindeutig machen zu wollen, bin ich dann weggefahren!«
    »Zelten?« Mein Kopf tat jedoch so weh, daß ich nicht einmal lachen konnte.
    »Ich wollte raus, in die Natur.«
    »Verstehe … Aber, habt ihr denn kein Verhütungsmittel benutzt?« fragte ich.
    »Doch! Sui hat die Pille genommen.«
    »Ja dann … Entweder hat sie sie extra nicht eingenommen oder wirklich vergessen – beides ist möglich.«
    »Wahrscheinlich wußte sie nicht, wie es weitergehen sollte, und da hat sie unbewußt die Pille weggelassen.« Er krallte die Hände über seinen Knien ganz fest ineinander, als er das sagte. Außer uns war da nur die allzu stille Nacht. Und Friedhofsstimmung, wüst und leer. Wie auf dem Trümmerfeld eines Traums nach dem Erwachen.
    »Bringst du mir noch ein Glas Wasser? Aah … auaauaua …« Ich verzog das Gesicht.
    Als er mir das Glas reichte, sagte Otohiko: »Aber wieso hat sie so was Abscheuliches mit dir gemacht – Schlafmittel ins Essen mischen! Warum bloß?« Er klang verärgert. Ich hörte den Berg Müdigkeit heraus, der sich bei ihm angehäuft hatte.
    »Sui wollte sich umbringen«, sagte ich.
    »Also doch! Ich hatte den schlimmen Verdacht, daß sie sich dazu entschlossen haben könnte. Deshalb bin ich früher zurückgekommen. Aber sie war nicht da. Komm, wir bringen uns gemeinsam um, diese Worte steckten mir in der Kehle. Wir dachten beide schon lange daran. Von außen sieht das wahrscheinlich völlig verrückt aus, aber wir waren wie besessen von diesem Gedanken. Seit wann – ich weiß es nicht mehr. Aber trotzdem, wieso hat sie gerade dir so was angetan, wo sie dich doch am liebsten hat?«
    Das wirkte vielleicht unbegreiflich. Aber ich bildete mir ein, sie zu verstehen. Also, sie wollte sich ernsthaft, wirklich ernsthaft umbringen, und das mußte geschehen, bevor Otohiko zurückkam – gut, aber sie wollte auch verstanden werden, und deshalb rief sie mich an. Als ich aber dann bei ihr war, wußte sie gar nicht mehr, was sie tun sollte, und aus lauter Verwirrung dachte sie sogar daran, mich umzubringen. Aber sie tat es nicht. Sie griff zu einem Mittel dazwischen.
    »Ich hab versucht, sie zurückzuhalten. Verzweifelt, mit aller Kraft«, sagte ich.
    »Ob es was genützt hat?« fragte Otohiko mit flehentlichem Blick.
    »Ich weiß es nicht, tut mir leid.«
    »Es besteht Hoffnung. Das Auto ist weg. Auch das Sparbuch und ein paar von ihren Sachen.«
    »Ach so …«
    Ich konnte nicht richtig nachdenken. Mein Blick fiel auf den Rock, den sie mir geliehen hatte. Er war ganz zerknautscht. Ich spürte, daß Zeit vergangen war. Seit Sui hiergewesen war. Ihre Atmosphäre war aber noch da. Hinter dem Bücherregal, unter dem wehenden Vorhang, da beim Tischbein – all diese kleinen dunklen Zonen lagen knapp neben der Realität.
    »Ob es diesen Fluch, von dem Sui immer sprach, wirklich gegeben hat?« sagte ich.
    Es hatte angefangen zu regnen. Durch die Balkontür drang sachte trauriges Rauschen herein. Schwermut hatte im Schutz der Nacht Einzug gehalten und überflutete die Luft. Kaltblütig beobachtete sie unser

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