Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
angekommen, klappt seinen Kiefer erstaunlich weit auf und fällt über die Reste her.
Jochens Hand tastet auf dem Tisch nach seinen Zigaretten, erwischt aber nur den Schlangenkörper. «Sag mal, machst du Sport?», fragt er und schlägt die Augen auf. «Ach du Scheiße!», rutscht es ihm raus.
Endlich schauen die anderen Gäste zu uns herüber. Allerdings macht niemand Anstalten, auch nur einen Finger zu rühren. «Hilfe!», zische ich ihnen leise zu, damit ich die Schlange nicht aufschrecke. «Hilfe!»
Eines der Kinder erbarmt sich schließlich, steht auf und kommt an unseren Tisch. Ohne Scheu beginnt es, die Schlange zu streicheln. «Da brauchst koa Angst ned hom», sagt es zu mir. «Des is do bloß da Schorsch.» Dass das Vieh einen bayerischen Namen trägt, macht mich nur unwesentlich ruhiger.
Dann tritt der Wirt aus der Stube, stellt sein Tablett ab, zieht das Reptil vom Tisch und wickelt es sich um die Schultern. Den Kopf des Untiers nimmt er in beide Hände, sieht ihm direkt in die Augen und schimpft: «Du bist ganz a bese Schlange, Schorsch. Wia oft hob i dia gsogt …» Leise tadelnd transportiert er die Schlange ins Innere, während wir noch ein wenig wie die Ölgötzen sitzen bleiben. Schließlich findet Jochen seine Zigaretten und zündet sich eine an. «Ist ja echt wild hier», sagt er zu dem kleinen Jungen, der uns anstarrt, als wären wir es, die hier aus dem Urwald kommen.
Kurz darauf bringt der Wirt ein Tablett heraus. Darauf hat er einen Lutscher für den Jungen und drei Schnäpse. Er setzt sich zu uns an den Tisch, und wir stoßen an. «Nix fia unguat, wega dem Schorsch, ge. Der mog Kasspatzen halt fia sei Leben gern.»
«Wo kommt der Schorsch denn her?», will Jochen wissen.
«Des is die Ex vom Knoll.»
«Die Echse?», hake ich nach.
«Des aa. Dea Knoll hod den Schorsch aus Kina mitbracht. Oba vor am Jahr hod da Schorsch den Kater vom Untermairkilian fressn wuin. Da homs den Schorsch hier in Pflege gebn.»
Wir sollten jetzt besser gehen, finde ich und gebe ein stattliches Trinkgeld. Der Kellner nickt zum Abschied und wünscht: «Fürz euch!»
Das kommt etwas überraschend. «Äh, danke», antworte ich irritiert, und wir ziehen uns vorsichtig zurück.
Daheim auf dem Dachboden hebt Jochen den scheuen Ludwig vom Gästesofa und drückt ihn wie ein Wärmekissen auf seinen vollen Bauch. Die Katerschlampe fängt sofort an zu schnurren. Ich frage Jochen nach Neuigkeiten aus Berlin. Seltsamerweise gibt es keine. «Aber Berlin atmet und pulsiert, da wird sich doch in den vergangenen zwei Wochen was getan haben», wundere ich mich.
Jochen zuckt mit den Schultern. «Na ja, die bauen halt immer noch überall. Und ich hab ein paar Projekte in Aussicht, aber nichts Konkretes. Wahrscheinlich arbeite ich bald als DJ. Oder ich mache was mit PR, ein Kumpel kann mir vielleicht ein Praktikum besorgen. Und letzte Woche hat bei mir unten im Haus ein neuer Laden aufgemacht. Der heißt Barfuß . Da kann man Cocktails trinken und sich dabei die Hornhaut von den Füßen schleifen lassen. Abgefahren, oder?» Er stößt auf, dass sich seine Backen blähen. Fürzt er sich?
«Und wie läuft es bei dir?»
«Überhaupt nicht», gestehe ich. «Die Münchner wachsen in einem festen Freundeskreis auf, der sich bis zu ihrem Tod nicht ändert.» Das klingt wahrscheinlich etwas weinerlich, aber es ist nun mal so.
«Oh, da kenne ich ein altes bayerisches Hausmittel gegen Frust und schlechte Laune», verkündet Jochen feixend.
«Was denn?»
«Gemütlichkeit!»
Auf geht’s also zum Hofbräuhaus. Auf dem Weg zur S-Bahn kommen wir an zwei Zeitungskästen vorbei. Wer fünfzig Cent in einen Schlitz wirft, darf sich eine Boulevardzeitung herausnehmen. Allerdings kann man die Kästen auch öffnen, ohne Geld einzuwerfen. Jochen bleibt stehen und inspiziert die Zeitungsbehälter. «Wo ist denn da der Trick?», fragt er.
«Da ist kein Trick», antworte ich. «Die appellieren an den Anstand der Bürger.»
«Also Psychologie», raunt Jochen. «So ein Schweinkram funktioniert bei mir nicht!» Mit Schwung klappt er den Deckel eines Kastens hoch, nimmt eine Zeitung heraus und reckt sie wie eine Trophäe in die Höhe. Nach diesem kurzen Triumph über das System legt er sie schnell zurück in den Kasten. «Steht eh nur Mist drin», murmelt er. Wir gehen ein paar Schritte. «Weißt du», sagt er, «das Fiese an der Psychologie ist: Man weiß nie, wann sie zuschlägt.»
Das Hofbräuhaus ist ein Freigehege der Ausschweifungen, in
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