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Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Titel: Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
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landet bäuchlings auf dem Rücken des Tieres. «Sieghst», raunt Seppi, «a fliegender Start.» Er nickt anerkennend.
    Das kriege ich nie hin! Die Reiter liegen flach auf den Rücken ihrer Tiere und treiben sie mit den Hacken an. Nur ein Ochse steht noch hinter der Startlinie. Seine Reiterin, kaum älter als neun, drischt schluchzend und mit hochrotem Kopf auf ihn ein. Daraufhin trottet er ein paar Schritte weiter und beginnt, gemächlich zu grasen. Das Publikum verfolgt das Drama gebannt. «Fehlstart», kommentiert Seppi.
    Ein großer, wettergegerbter Mann läuft auf das weinende Mädchen zu, hebt es vom Ochsen und trägt es auf dem Arm fort. Das Publikum applaudiert.
    «Wer is’n jetz ois Erster im Ziel gwesen?», fragt die unsichere Stimme des Moderators. «Nummer drei oda die vier?»
    «Vier!», grölt ein Security-Bursche neben der Ziellinie. Die fliegende Starterin reißt ihre Arme in die Luft. Zwei Dorfjungs heben sie auf ihre Schultern und tragen sie zurück an den Start. Der Himmel zieht sich immer mehr zu. Ein erster Regentropfen landet auf meiner Wange.
    «Mia macha glei weida, weis schaut nach Regen aus», tönt es aus den Lautsprechern. «Herrgottsakra», fluchen Knoll und Seppi und schieben mich zum Start.
    «Mia kennas amoi mit am normalen Start versucha. Wenn da Luzi di ned abwirft, kannts klappn», meint Seppi.
    Ich nicke.
    Der Security-Mann zieht das weiß-rote Band für mich hoch, als wäre es das Seil eines Boxrings. Ich schlüpfe hindurch und laufe, gefolgt von Knoll und Seppi, an den Start. Lissy schiebt soeben Luzifer auf Startposition eins. Er trägt nun einen blauen Gurt aus gerolltem Leinen um den Hals. Als ich etwas daran ruckele, scharrt er ungeduldig mit den Hufen. Lissy kommt nach vorn und nimmt seinen Kopf in den Arm. «Und jetza versuachst naufzumsteign», befiehlt sie. Todesverachtend schwinge ich mich hoch. Sofort bäumt sich Luzifer auf, und ich rutsche seitlich an seiner Flanke wieder herunter. Seppi schüttelt den Kopf. «Naa, des gehd ned, mia mocha an fliegenden Start.» Na toll!
    Neben mir heben stämmige Väter bereits die kleinen Reiterinnen auf ihre Ochsen, die alle ganz ruhig stehen bleiben. Knoll kommt zu mir. «Waschtl, du host mia vom Karate vazäit. Des hod grod ned so ausgschaut. Schdrengst di hoid amoi a bisserl o!»
    Genau das habe ich jetzt gebraucht! Ich beruhige meine Atmung, konzentriere mich. Früher konnte ich ein Brett zertreten, das jemand auf 1 Meter 80 Höhe gehalten hat. Da werde ich mich wohl noch auf einen 1 Meter 70 hohen Ochsen schwingen können! Ich stelle mich seitlich von meinem Gegner auf und greife mit beiden Händen nach seinem Halsgurt. Auf meinem rechten Bein liegt kein Gewicht mehr. Ich hebe das Knie leicht an. Den Oberkörper beuge ich über Luzifers Rücken. Ich spüre seine Hitze, sehe, wie sich das glänzende Fell durch schnelle Atemstöße hebt und senkt. Wieder scharrt er mit einem Vorderhuf. Ich atme tief ein und aus. Knoll nickt zufrieden und tritt zurück.
    Die Lautsprecher übersteuern kurz, dann ertönt die Stimme des Sprechers: «Wenn alle fertig san, dad ma gern starten. Des Unwetter geht glei los.» Seppi reckt den erhobenen Daumen in Richtung Tribüne. Ich höre die Lautsprecherstimme «Drei, zwoa …» Mit einem Donnerschlag explodiert die Luft. Orkanartiger Regen ergießt sich auf die Rennstrecke. «Oans!»
    «LOS!», ruft Lissy und rempelt Luzifer mit einem Bodycheck über die Startlinie. Ich werfe mich mit voller Wucht nach rechts und schleudere mein Bein über den Ochsenrücken. Luzifer reißt mich nach vorn, auf seinen Rücken, nach draußen. Plötzlich ist alles nass und laut, wie im Krieg. Mit beiden Händen umklammere ich den Leinengurt und presse mein Gesicht zwischen Luzifers Schulterblätter. Sein beißender Geruch steigt mir in die Nase, meine Beine krallen sich um seinen Körper, als wäre ich ein Affenbaby. Mein Mund steht offen, kann sein, dass ich schreie. Regen prasselt auf meinen Rücken und durchnässt den Adidas-Anzug. Aus den Augenwinkeln sehe ich Leute unter die Bäume fliehen. Einige aber bleiben trotz des Sturms stehen und starren mich mit offenen Mündern an. Ich sehe keine Ochsen vor uns. Hinter mir höre ich Lissy «Hothothothothot» rufen. Ich ramme Luzifer die Hacken in die Flanken. Er beschleunigt noch einmal, stürmt ins Ziel. «Bahn frei!», brülle ich, aber da kommen schon ein paar kräftige Bauern angerannt, greifen Luzifer an den Hörnern und drehen ihn zur Seite. Ich habe es geschafft!

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