Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
herauskommen könnte. Ich schulde Knoll einen Gefallen – er fordert ihn ein. «Aber was, wenn ich verletzt werde?», frage ich und fühle mich wie ein Weichei. «Solche Stiere sind doch aggressiv.»
«Da Luzi is koa Stier mea», erklärt Knoll. «Der is zwickt, oiso kastriert.» Damit seien die geschlechtsspezifischen Aggressionen gezügelt, sodass ihn der Bauer auf dem Feld einsetzen kann. «Der Luzifer is a ganz a Liaba.»
Na gut, dann glaube ich das eben.
Der Luzi, erklärt Knoll weiter, sei nicht nur lieb, sondern auch talentiert: ein echter Rennochse. Seppis Rennochse, um genau zu sein. Bei der Anmeldung zu seiner ersten Meisterschaft offenbarte die Jury dem Seppi allerdings, dass ein Ochsenrennen-Team aus einem Ochsen, einem Reiter und einem Treiber bestehen müsse. Also suchte sich Seppi ein Team zusammen. Der Reiter sollte, wie ein Jockey, möglichst klein und leicht sein, der Treiber dagegen ein stämmiger Bursche, der den Ochsen am Start bei den Hörnern packen kann. Knoll selbst sei der erste Treiber in Seppis Team gewesen. Bis eines Tages dessen Tante Lissy auf den Hof zog.
Sie besaß alle Eigenschaften, die einen kräftigen Typen auszeichnen, im Überfluss: Masse, Kraft und die Fähigkeit, andere durch die Gegend zu scheuchen. Lissy war gerade Witwe geworden und suchte nun nach einer neuen Aufgabe. Die fand sie auf Seppis Hof und im Ochsentreiben.
Seit Monaten fiebere die gesamte bayerische Ochsenrennen-Szene dem heutigen Rennen um den niederbayerischen Verbandspokal entgegen, sagt Knoll. Luzifer habe in den vergangenen zwei Monaten alle Vorausscheidungen gewonnen. Er müsse nur noch ein Mal laufen, um den Titel, und zwar heute. Kopfschüttelnd schließt Knoll seinen Vortrag mit den Worten: «Und nacha verletzt si da Seppi.»
Inzwischen haben wir die Autobahn verlassen und fahren über einspurige Landstraßen, auf denen uns nur selten Autos entgegenkommen. «Des Oanzige, wos schiafgeh ko, is as Wetta.» Knoll deutet aus dem Fenster. Am Horizont ziehen dunkle Wolken auf. «Wenns regnt, foit des Rennan ins Wassa. Nacha müss ma no a Jahr wartn.»
Nach einer Stunde Fahrt durch kilometerlange Waldstücke, vorbei an weiten Wiesen mit hüfthohem Gras, lassen wir die dunklen Wolken hinter uns und gelangen auf die Sonnenseite des bayerischen Landes. Hinter dem Ortsschild Seling biegen wir links ab. Die kleine Straße ist von parkenden Autos gesäumt. Wir fahren an einer Kirche vorbei und halten auf einem offenen, abgemähten Feld. Dort stehen ein schwarzer Bus und einige Autos mit großen geschlossenen Anhängern. Darauf kleben Schilder mit Warnungen wie «Viehtransport» oder «Achtung, Rindvieh».
Das Ochsenrennen soll auf dem angrenzenden Acker stattfinden. Dort haben sich Hunderte von Menschen versammelt. Ein Teil der örtlichen Dorfjugend sitzt auf einem Bierwagen mit dem Aufdruck «Selinger Bräu», andere stehen an einer Würstchenbude. Die meisten jedoch drängen sich vor der mit rot-weißem Baustellenband abgesperrten Rennstrecke: eine vierspurige Bahn von dreihundert Metern Länge, über deren einem Ende ein weißes Banner gespannt ist. Darauf steht «Start» und «Sparkasse Seling». Am anderen Ende der Bahn ist das «Ziel» ohne « Sparkasse Seling». Eine interessante Anlagestrategie.
Knoll bahnt uns den Weg durch die Menschenmenge bis zum Start. Dort will uns ein dicker Bauernlümmel mit einem schwarzen Security-Shirt den Zutritt verweigern. «Nua Teilnehma», grunzt er. «Geeenau!», antwortet Knoll und schiebt ihn zur Seite. Der Ordner schaut irritiert, hält ihn aber nicht auf. Ich will folgen, werde aber festgehalten. «Des is koa Tanzschau da», raunzt er und deutet auf meinen schwarzgoldenen Trainingsanzug. Da sage ich es zum ersten Mal: «Ich bin der Reiter.»
Der Bauernlümmel schaut mich ungläubig an. «Moment.» Er dreht sich um, seine Augen suchen einen Vorgesetzten. Unterdessen hat Knoll im VIP-Bereich seinen Spezl ausfindig gemacht. Ein dicker, fast zwei Meter großer Pfundskerl winkt dem Ordner lässig mit einer Pranke zu. Der Bauernlümmel hebt kopfschüttelnd das Absperrband und schubst mich durch. Dabei brummelt er ein desillusioniertes «Na Servus!».
Ich laufe zu Knoll und dem Fleischberg. Der hat eine Riesenwampe und ein rosiges Gesicht, in welches der dünne Schnurrbart nicht so recht passen will. Aus freundlichen blauen Augen zwinkert er mir zu. Knoll stellt uns vor: «Waschtl, des is die Lissy. Lissy, da Waschtl.»
Meine Kinnlade klappt herunter. Die Lissy! Das
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