Nach dem Bankett.
betrachtete den ausgestopften Paradiesvogel im Glaskasten, die geschmackvollen dunkelfarbigen Gardinen, die gerahmte chinesische Schrift »Eine Halle voll willkommene Gäste« oder ein Bild des Kriegsschifes »Ise«, das auf der Kawasaki-Schifswerf gebaut worden war. Es war ein Kupferstich aus dem Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. Das Kriegsschif zog zwischen zierlichen Wellen seinen Weg, der rote Schifsleib war auch unter der Wasserlinie noch zu sehen. All das schien ihr nur allzu gut zusammenzupassen: das europäische Restaurant im Stile der Jahrhundertwende, der ehemalige Minister in dem alten, englischen Anzug. Sie war irritiert, denn sie war in die kraftvolle, blühende Gegenwart verliebt.
Noguchi begann zu sprechen: »Das Wesentliche der Diplomatie ist eigentlich, die Menschen richtig einzuschätzen. Diese Kunst glaube ich in meinem langen Leben gelernt zu haben. Meine verstorbene Frau war ein vortreficher Mensch; ich habe mich gleich bei der ersten Begegnung für sie entschieden. Aber da ich kein Hellseher bin, konnte ich nicht voraussagen, wie lange sie leben würde. Sie erkrankte kurz nach dem Kriege und starb. Wir hatten keine Kinder, so bin ich jetzt allein . . . Oh, Sie müssen den Teller auf der einen Seite etwas anheben, wenn Sie den Rest der Suppe essen wollen. Ja, so ist es richtig.«
Kazu war bestürzt, tat aber, was er ihr sagte. Bisher hatte noch kein Mann gewagt, ihre Manieren beim europäischen Essen zu kritisieren.
»Im Februar nächsten Jahres«, fuhr Noguchi unbekümmert fort, »bin ich von Freunden zum Frühlingsquellenfest in Nara eingeladen. Trotz meines Alters hatte ich noch nie Gelegenheit, dieser Zeremonie beizuwohnen. Waren Sie schon einmal dabei?«
»Nein, ich habe es auch noch nie gesehen, obgleich ich schon öfter eingeladen worden bin.«
»Wie wäre es? Ich weiß, Sie sind beschäftigt, aber hätten Sie nicht Lust, mitzukommen?«
»Ja«, antwortete Kazu sofort.
Bis zu dieser Reise würden noch drei, vier Monate vergehen; aber kaum hatte Kazu »Ja« gesagt, bekam ihre Phantasie Flügel, und ihr Gesicht brannte – nicht nur, weil sie so plötzlich aus der Kälte in den warmen Raum gekommen war, sondern vor Erregung.
»Sie haben ein merkwürdiges Feuer in sich«, meinte Noguchi, während er das zierlich gravierte Fischmesser handhabte. Er wirkte ausgesprochen zufrieden, wenn er seine Beobachtungen so mit überzeugter Stimme verkündete.
»Feuer?« wiederholte Kazu. Sie war ganz entzückt über diese Äußerung. »Feuer? Was bedeutet das eigentlich? Ich selbst empfnde es gar nicht; aber alle anderen necken mich damit, daß ich wie ein Feuerball sei.«
»Ich habe es nicht gesagt, um Sie zu necken«, Noguchis Stimme klang so bitter, daß Kazu schwieg.
Nach einiger Zeit wurde das unterbrochene Gespräch wiederaufgenommen,
und man unterhielt sich über Orchideen. Das war wiederum ein ema, von dem Kazu keine Ahnung hatte, und es blieb ihr nichts anderes übrig, als Noguch schweigend zuzuhören, der auf sein nutzloses Wissen stolz zu sein schien wie ein Schuljunge. Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie er vor etlichen Jahrzehnten mi seinem Wissen vor dem Mädchen, das ihm gefel, geprahlt haben mochte.
»Sehen Sie diese Orchidee? Wissen Sie, wie sie heißt?«
Kazu wandte ihren Kopf und blickte zu einem Blumenständer hinüber. Es interessierte sie überhaupt nicht. Nach einem füchtigen Blick wandte sie den Kopf wieder zurück. »Nein, das weiß ich nicht«, sagte sie. Aber ihre Antwort kam viel zu schnell.
»Dendrobium«, antwortete Noguchi leicht verstimmt.
Deshalb wandte sie nochmals den Kopf und betrachtete die Pfanze eingehende In dem blaulasierten Topf auf dem Ständer wuchs eine Treibhausordlidee – keine besonders ausgefallene Art. Die kleinen Blütenblätter mit den knallroten Rändern hingen wie schwebend am Stengel. Die zarte Blüte war so reglos, daß sie künstlich wirkte wie eine aus Papier gefaltete Orchidee. Je aufmerksamer Kazu die karmesinrote Blume betrachtete, desto aufdringlicher erschien sie ihr, und schließlich fand sie sie geradezu abstoßend an diesem stillen Winternachmittag
Kazus Gedanken über die Liebe
Als Kazu sich von Noguchi getrennt hatte und ins Setsugoan zurückgekehrt war, fürchtete sie sich davor, daß das Glück dieser Mittagsstunden in ihrem arbeitsreichen Alltag ertrinken könnte. Es freute sie, daß jemand besonderes Interesse für sie gezeigt hatte,
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