Nach dem Bankett.
sie an diesen Vorfall. Sonst wa sie stets guter Laune und gesprächig, heute blieb sie schweigsam. Sie betrachtete stumm ihr üppig schönes Antlitz im Spiegel. Doch die üblichen Schmeicheleien der Friseuse erschienen ihr heute wie eine Lüge: Ihr Gesicht war entschieden nicht mehr jung.
Die Begräbnisfeier im Honganji-Tempel war eindrucksvoll. Die Trauergäste gingen in Reihen an den Kränzen entlang. Kazu gab ihr Kondolenzgeschenk, die hunderttausend Yen, am Eingang ab und grüßte höfich, aber zurückhaltend, als sie einiger Gäste des Setsugoan ansichtig wurde. Der aufsteigende Weihrauch der sich mit den Strahlen der Wintersonne mischte, strömte einen erfrischenden Duft aus. Die Trauergäste waren fast ausschließlich ältere Leute. Vor Kazu stand ein alter Mann, dessen falsche Zähne ständig aufeinanderschlugen und ein eintöniges Klappern erzeugten.
Als Kazu in der Reihe der Trauergäste langsam vorwärtsschritt, kam es ihr zum Bewußtsein, daß sie bald vor Noguchi stehen würde. Ihr Herz wurde unruhig be dieser Vorstellung, und sie war nicht mehr fähig, klar zu denken. Kurz darauf sah sie die Witwe. Frau Tamakis Augen sahen eher drohend als traurig aus, ihr Blick wanderte nach jeder der tiefen, höfichen Verbeugungen zu einem bestimmten Punkt in der Luft, als würde er von einem Faden dorthin gezogen.
Endlich sah Kazu Noguchi. Er trug einen zu engen Cutaway und am Arm eine schwarze Binde. Er stand mit hocherhobenem Kopf und ausdruckslosem Gesicht da.
Nachdem Kazu Weihrauch dargebracht hatte, ging sie auf ihn zu und sah ihm
ofen in die Augen. Sein Blick wich ihr keineswegs aus; er sah sie ohne eine Spur von Empfndung an und beugte dann respektvoll den Kopf.
Man kann nicht sagen, daß dieser Augenblick eine Enttäuschung für Kazu war. Als sie Noguchis leerem Blick begegnete, spürte sie, ohne es erklären zu können, daß sie ihn liebte.
Als sie wieder zum Setsugoan zurückgekehrt war, nahm sie sogleich einen Pinsel und feines, altes japanisches Briefpapier zur Hand und schrieb den folgenden langen Brief:
Sehr geehrter, lieber Herr Noguchi!
Heute sah ich Sie, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, in bester Gesundheit, und ich bin sehr froh darüber. Ich werde Ihre freundliche Einladung zum Mittagessen und den Spaziergang um den Teich nie vergessen. Es ist lange her, seit ich das letzte Mal eine so liebenswürdige Einladung erhielt. Sie werden sicher meinen, es habe mir so besondere Freude gemacht, einmal selber bewirtet zu werden, weil ich sonst immer andere bewirten muß. Aber ich möchte Ihnen sagen, daß es mehr noch Ihre Aufmerksamkeit war, die mich glücklich gemacht hat.
Es gibt jedoch etwas, das mich traurig stimmt. Ich las in der Zeitung die Nachricht von Herrn Tamakis Hinscheiden und war sehr erschüttert darüber. Nun frage ich mich aber, weshalb Sie mich nicht angerufen haben. Erlauben Sie, daß ich of en zu Ihnen bin? Sie ahnen sicher nicht, wie sehnsüchtig ich bis heute darauf gewartet habe, Ihre Stimme zu hören. Hätten Sie mir nur ein einziges Wort zukommen lassen, so wäre dies ein Beweis für mich gewesen, daß Sie an mich gedacht haben. Ich bin sehr enttäuscht, daß Sie dies nicht getan haben.
Es war nicht meine Absicht, Sie mit meinen Klagen zu langweilen, und ich hofe, Sie werden mir das nachsehen und verstehen, daß dieser Brief aus der Ungeduld eines Herzens kommt, das Ihnen von ganzer Seele zugetan ist. Ich kann es kaum erwarten, Sie wiederzusehen. Und diese Hofnung gibt meinem Leben Sinn.
Ihre Kazu
Am nächsten Tag mußte Kazu aus gesellschaftlichen Gründen zu der Tanzvorführung einer Schule gehen. Als sie die ersten Worte des Liedes »Yasuna« hörte, brach sie in Tränen aus:
»Oh, Liebe! Liebe! Bewahre mich vor unglücklicher Liebe . . .«
Anderntags gegen Mittag kam ein Anruf von Noguchi. Er sprach übe gleichgültige Dinge und berührte mit keinem Wort den Vorwurf, den sie ihm in ihrem Brief gemacht hatte. Seine Stimme war ohne jeden Humor, die Feierlichkeit selber. Trotzdem sprachen sie lange miteinander, obgleich das Gespräch manchmal versiegte. Sie verabredeten ein Wiedersehen, und am Ende konnte Kazu sich nicht mehr beherrschen und fragte geradeheraus: »Warum haben Sie mich eigentlich nicht angerufen und mir gesagt, was geschehen ist?«
Am anderen Ende der Leitung wurde es still. Dann erklang ein verlegenes leises Lachen, wie ein Knarren, und Noguchi antwortete gleichmütig. »Um die Wahrheit zu sagen: ich sah
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