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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Vielleicht dachte sie sich, dass so ein gestandener Gesetzeshüter in der Lage sein würde, einen Haufen Schüler in Schach zu halten. Allerdings konnte man Kriminelle zur Not einfach erschießen, im Gegensatz zu einem Klassenraum voll Elftklässler, die gar nicht auf die Idee kamen, den Mund zu halten.
    »Hi«, begann der Polizist, der trotz Pistolenhalfter, Pfefferspray und einer gut sortierten Auswahl weiterer Waffen an seinem Gürtel noch ziemlich jung wirkte. Er blickte zu Mrs Ruminski hinüber, die nicht besonders hilfreich in der offenen Klassenraumtür herumstand, und fummelte an dem spiegelblanken Namensschild auf seiner Brust herum: William Koenig. Mrs Ruminski hatte uns erzählt, dass auch er ein Absolvent unserer ehrwürdigen Highschool war, aber weder sein Name noch sein Gesicht kamen mir bekannt vor. »Ich bin Officer Koenig. Eure Lehrerin - also Mrs Ruminski - hat mich letzte Woche gefragt, ob ich mal in den Unterricht kommen könnte. Um euch ein bisschen was zu erzählen.«
    Ich warf Olivia neben mir einen Blick zu, um zu sehen, was sie von dem Ganzen hielt. Olivia sah wie immer von Kopf bis Fuß adrett und ordentlich aus: wie ein fleischgewordenes Einserzeugnis. Ihr dunkles Haar war zu einem perfekten französischen Zopf geflochten und ihr Kragen säuberlich gebügelt. Wenn man wissen wollte, was Olivia dachte, ging man am besten nicht nur nach dem, was sie sagte. Man musste ihr in die Augen sehen.
    »Der ist ja süß«, flüsterte sie mir zu. »Dieser rasierte Kopf gefällt mir. Glaubst du, seine Mama nennt ihn Will?«
    Ich wusste noch nicht so recht, wie ich mit Olivias neu entdecktem und ziemlich deutlich artikuliertem Interesse an Männern umgehen sollte, und verdrehte die Augen. Süß war er schon irgendwie, aber nicht mein Typ. Auch wenn ich eigentlich gar keine Ahnung hatte, was überhaupt mein Typ war.
    »Ich bin gleich nach der Highschool zur Polizei gegangen«, erklärte Officer Will. Er machte dabei ein überaus seriöses Gesicht und runzelte in perfekter Freund-und-Helfer-Manier die Stirn. »Dieser Beruf hat mich schon immer interessiert und ich nehme ihn sehr ernst.«
    »Offensichtlich«, flüsterte ich Olivia zu. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass seine Mutter ihn Will nannte. Officer William Koenig warf uns einen finsteren Blick zu und legte die Hand auf seine Pistole. Das war wahrscheinlich nur Gewohnheit, aber es sah ein bisschen so aus, als würde er darüber nachdenken, uns für unser Getuschel zu erschießen. Olivia wurde ganz klein auf ihrem Stuhl und ein paar der anderen Mädchen kicherten.
    »Das ist ein ausgezeichneter Karriereweg und dazu noch einer der wenigen, für die man bisher keine Collegeausbildung braucht«, redete er weiter. »Kann irgendwer von euch sich - ähm - vorstellen, später auch in die Strafverfolgung zu gehen?«
    Es war das »ähm«, das ihm das Genick brach. Wenn er nicht gezögert hätte, wäre vielleicht alles glattgegangen.
    Eine Hand schoss nach oben. Elizabeth, die zu den Horden von Schülern in Mercy Falls gehörte, die nach Jacks Tod immer noch Schwarz trugen, fragte: »Stimmt es, dass Jack Culpepers Leiche aus der Leichenhalle verschwunden ist?«
    Hektisches Flüstern erhob sich angesichts dieser unverblümten Frage, und Officer Koenig sah aus, als wäre er diesmal wirklich kurz davor, seine Pistole zu ziehen. Aber er sagte nur: »Ich bin nicht befugt, über Details der laufenden Ermittlungen zu sprechen.«
    »Es gibt Ermittlungen?«, rief einer der Jungs ganz vorne.
    »Das hat meine Mutter von einem anderen Polizisten gehört«, redete Elizabeth unbeirrt weiter. »Stimmt das denn? Warum sollte jemand die Leiche klauen?«
    Die wildesten Spekulationen füllten den Raum.
    »Da soll bestimmt was vertuscht werden. Ein Selbstmord.«
    »Drogenschmuggel!«
    »Medizinische Experimente!«
    »Ich hab gehört, Jacks Vater hat einen ausgestopften Eisbären zu Hause«, rief einer. »Vielleicht haben die Culpepers jetzt ja auch Jack ausgestopft.« Sein Sitznachbar gab ihm dafür eine Kopfnuss; es war immer noch tabu, schlecht über Jack und seine Familie zu reden.
    Koenig sah Mrs Ruminski verzweifelt an. Sie warf ihm einen abschätzigen Blick zu und wandte sich an die Klasse. »Ruhe bitte!«
    Wir wurden etwas leiser.
    Dann drehte sie sich wieder zu Officer Koenig um. »Also, wurde die Leiche nun gestohlen oder nicht?«, wollte sie wissen.
    »Ich bin nicht befugt, über die laufenden Ermittlungen Auskunft zu geben«, wiederholte er. Aber diesmal klang er

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