Nach dem Sturm
völlig falsche Richtung! Du musst etwas tun!“
„Ja“, sage ich und stehe auf. „Das werde ich. Und zwar gleich. Kannst du mich bei Sato anmelden? Ich muss ...“
Mir wird schwarz vor Augen und ich klammere mich an die Tischplatte, um nicht umzufallen. Charlotte lässt einen kleinen Aufschrei hören. „Jeff! Was ist los?“
Sie springt mir bei, greift nach meinem Arm. Ich bin zu schnell aufgestanden. Der Schmerz durchläuft mich mit einer glühenden Woge. Ich beiße die Zähne zusammen und schüttle den Kopf. „Nichts. Es geht schon.“
„Die Wunde?“, fragt sie und lässt mich nicht los. Die Narbe von der Schusswunde an meinem Rücken fühlt sich an, als sei sie aus glühendflüssigem Metall. Ich nicke und gleichzeitig dringt Charlottes Parfum wie durch einen Schleier zu mir. Ich bleibe einen Moment stehen, bis die Schmerzen vergehen, und spüre Charlottes Busen, der gegen meinen Arm drückt, weil sie mich festhält. Ich kann ihre Haut riechen, diese glatte Haut an ihrem Hals. Wie lange haben Rhonda und ich nicht miteinander geschlafen? Der Kampf, ihre Schwangerschaft. Ewig.
Ich blicke in Charlottes Augen und fühle, dass sie weiß, was ich gerade denke. Und ich stelle fast erschrocken fest, dass in ihrem Blick keine Ablehnung liegt. Im Gegenteil. Sie rückt etwas näher an mich heran.
„Jeff. Wenn es irgendetwas gibt, was ich tun kann, um dir zu helfen ...“, sagt sie, ohne den Satz zu vollenden. Sie kommt noch näher. Das Grün ihrer Augen strahlt abgründig. Ihre Lippen sind voll und wirken unendlich weich. Wenn ich mich nur leicht vorbeuge, würden sich unsere Lippen berühren. Das Bett in der Suite steht unbenutzt im Nebenraum. Schwarze Satinbettwäsche auf weißen Laken.
„Charlotte, ich ...“, stammle ich und schließe die Augen. Ich bin gerade erst Vater geworden. Es wäre falsch. Ganz falsch. Ich straffe mich, öffne die Augen wieder.
„Es tut mir leid, Charlotte. Besorg mir einen Termin bei Sato, ich muss mit ihm reden.“
Das Strahlen ihrer Augen weicht einer leisen Enttäuschung. Sie will gerade etwas sagen, als wir uns beide erschrocken umwenden, weil wir eine Bewegung an der Tür wahrnehmen.
„Hab ich da eben meinen Namen gehört? Scheint Gedankenübertragung zu sein! Ich hoffe, ich störe nicht?“
Sato steht mit weit geöffneten Armen und einem Grinsen in der Tür, als wäre er der Weihnachtsmann persönlich und käme, um Geschenke zu verteilen. Er geht auf in seiner Rolle als Stadtoberhaupt, keine Frage. So unbeeindruckend seine körperliche Erscheinung ist – Sato ist eher klein und fast untersetzt, mit dünner werdendem, grauem Haar und Falten um die schmalen Augen – so erstaunlich ist doch seine Fähigkeit, einen Raum zu füllen, sobald er ihn betreten hat. Charlotte macht rasch einen Schritt von mir weg und nickt Sato ergeben zu.
„Wir sprachen eben von Ihnen, Bürgermeister, da wurde es Jeff schwindelig. Sagen Sie ihm bitte, er soll die Wunde noch einmal von einem Arzt ansehen lassen. Auf mich hört er nicht.“
Sato lacht, überquert den schweren Teppich und tritt ans Fenster. Er lässt den Blick über die Stadt schweifen. Seine Stadt. Er spricht mit dem Rücken zu uns.
„Sie hat recht, Jefferson. Das solltest du wirklich tun. Die Leute da draußen brauchen einen einsatzfähigen Leiter des Schul- und Wohnungsamts. Und nicht jemanden, dem es schlechter geht als ihnen.“
„Vielleicht versteht so jemand die Leute aber besser? Vielleicht macht ihnen das weniger Angst vor uns?“
Sato dreht sich um. Ein feines Lächeln umspielt seine Lippen. Er hakt die Daumen am Jackettkragen seines grauen Anzugs ein.
„Angst? Sie haben keine Angst vor uns. Warum sollten sie? Wir haben das Joch von Hudsons Herrschaft von ihnen genommen. Sie sind dankbar.“
„Die Männer, die von Kelloggs Schergen erschossen wurden, weil sie ein paar Flugblätter verteilten, wirkten nicht besonders dankbar, wenn du mich fragst.“
Sato kommt auf mich zu. Er schüttelt den Kopf, ernsthaft beunruhigt.
„Die IFIS? Sie haben jemanden erschossen?“
Ich nicke. „Congress Street. Sie haben völlig überreagiert. Ein Captain namens Tolliver hat gesagt, Kellogg persönlich habe sie dazu angestiftet.“
Sato überlegt. Dann nickt er. „Kellogg, hm? Du hast ihm schon immer misstraut, weil er im Leben keine drei Bücher gelesen hat und immer dazu neigt vorzupreschen, statt abzuwarten und abzuwägen, so wie du. Hm, Jefferson?“
„Vorzupreschen? Er hat auf diese Leute schießen lassen wie
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