Nach der Hölle links (German Edition)
hinlegen und kontrolliert atmen, damit er zur Ruhe kam.
Davon hatte Sascha oft gelesen, wenn er sich in den Angehörigen-Foren herumtrieb: da sein, Ruhe und Sicherheit vermitteln, etwas anbieten, woran der Betroffene sich festhalten konnte. Hand, Arm, Stimme, Nähe. Alles leicht zu geben, wenn man um die Magie der Geste wusste. Dabei war Psychologie keine Zauberei und keine diffuse Halbwissenschaft. Sie war logisch, wenn man sie einmal am Haken hatte.
Sascha verkopfte diesen eigentümlichen Moment in der Stille des Schlafzimmers, und es war ihm bewusst. Er konnte Andreas nicht helfen, indem er ihn an sich riss und nicht mehr losließ. Da war es besser, sich an sein gesammeltes Wissen und die Vorschläge anderer zu halten; so schwer es ihm auch fiel.
Er gab sich Mühe, die Fülle der über ihn einbrechenden Empfindungen abzuwehren. Aber als Andreas mit einem unsicheren Laut ins Bett fiel und nach seiner Hand angelte, wurde Sascha innerlich mitgerissen. Er zwang sich, langsam und gemessen auf die Bettkante zu sinken und die ihm anvertrauten Finger beruhigend zu reiben.
»Ich kann da morgen nicht hin«, lenkte Andreas Sascha von seinem verzweifelten Wunsch, sich neben ihn zu legen, ab. »Ich werde verrückt, wenn ich auch nur daran denke. Ich kann das nicht.«
»Du musst auch gar nicht«, entgegnete Sascha automatisch. »Niemand zwingt dich.«
»Aber meine Mutter …« Andreas’ Augen waren bis zur Schmerzgrenze aufgerissen. Seine Brust hob und senkte sich viel zu schnell.
Sascha rückte unmerklich näher und schloss auch die zweite Hand über ihren ineinander verkrallten Fingern. »Sie wird hervorragend versorgt. Und sie hat nichts davon, wenn du vor ihren Augen die Nerven verlierst.«
»Aber ich muss sie doch besuchen!«
»Das sehen wir morgen. Darüber denken wir erst nach dem Frühstück nach, okay?«
Es schien zu funktionieren. Die Erinnerung, dass Andreas nicht gezwungen war, jetzt Entscheidungen für den nächsten Tag treffen, wirkte. Es dauerte lange, aber schließlich entkrampften sich die Sehnen an seinem Hals, die Lider flatterten weniger hektisch. Auch versuchte er nicht länger, die ihn tröstenden Finger zu zerquetschen. Sascha löschte das Licht.
Nachdem sie sich eine geraume Zeit mit verschränkten Händen vom Schutz der Dunkelheit hatten streicheln lassen, zog Andreas unerwartet an Saschas Arm; zögernd und sanft, keinesfalls zwingend. Es schien selbstverständlich, dass Sascha diesem Drängen nachgab und sich neben ihn gleiten ließ. Erst im Sitzen, dann, als Andreas erneut an ihm zog, im Liegen. Saschas müder Rücken dankte ihm dieses Entgegenkommen.
Auch weiterhin berührten sich nur ihre Hände. Keiner von ihnen regte sich. Saschas Drang, sich auf Andreas zu stürzen und ihm zu zeigen, wie sehr er ihn vermisste hatte, hielt sich in erträglichen Grenzen. Nur näher an sich gezogen hätte er ihn furchtbar gern.
Keiner von ihnen fand Schlaf in dieser Nacht. Andreas ruhte mit offenen Augen und erwartete den Morgen. Dass seine freie Hand unablässig das Handy umklammerte, fiel Sascha erst auf, als die Dämmerung ins Zimmer kroch und die bange Frage mit sich brachte, wie Margarete die Nacht überstanden hatte.
Kapitel 21
Mit dem Fiepen des Mobiltelefons fuhr Sascha aus dem Schlummer, in den sein Körper ihn gezwungen hatte. Kein erholsamer Schlaf, nur ein halb waches Treiben auf der Wasseroberfläche des Bewusstseins. Er öffnete die verkrampften Finger, als Andreas sich gewaltsam von ihm losmachte und aufsprang.
Mit dem Rücken zu Sascha stand er plötzlich neben dem Bett; das Abbild eines vor Anspannung erstarrten Menschen. Breitbeinig, die Schulter überzogen weit nach hinten gedrückt, den Kopf geneigt. Das Handy schien zentnerschwer. Andreas schaffte es nicht, es ans Ohr zu heben.
Sascha hörte ihn bebend einatmen und kam nicht umhin, es ihm nachzutun. Sein Kreislauf protestierte, als er sich zu schnell aufrichtete. Eilig versuchte er, die Ereignisse der vergangenen 24 Stunden zu sortieren. Gähnend rieb Sascha sich die zu trockenen Augen, um seine Lebensgeister zu wecken.
Das Klingeln des Telefons gewann an Dringlichkeit, fraß sich nervenaufreibend durch seinen Schädel. Dennoch wollte er Andreas nicht antreiben. Er hatte sicher Angst vor dem Gespräch, und Sascha konnte es ihm nicht verdenken. Er war nie in einer ähnlichen Situation gewesen und wollte gern darauf verzichten.
Andreas’ Stimme brach, als er nach einem weiteren schlottrigen Atemzug den Anruf entgegen nahm und
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