Nach der Hölle links (German Edition)
müde und schwankte Richtung Flurtür. Über die Schulter hinweg fügte er hinzu: »Ich mache das nachher weg. Kommt nicht auf ein paar Stunden an.«
Sascha hatte den Eindruck, dass er gerade auf charmante Weise der Wohnung verwiesen worden war. Oder erwartete Andreas, dass er ihm ins Schlafzimmer folgte?
Unsicher führte er die Faust zum Mund und nagte am Gelenk seines Zeigefingers. Gehen oder bleiben? Andreas Gesellschaft leisten oder nicht? Die Wahrheit ans Licht zerren oder schweigen? Wenn er nur klarer denken könnte. Voraussetzung dafür wäre, dass das Bienenvolk in seinem Kopf Ruhe gab und ihn nicht mit seinem Summen und Brummen belästigte.
Sascha lauschte den sich entfernenden Schritten, dem Schleifen der Schiebetür. Er glaubte zu hören, wie Andreas sich einem Stein gleich aufs Bett fallen ließ.
Schließlich huschte Sascha auf die Terrasse, holte seine restlichen Sachen und zog sich an. Es hatte Zeit, entschied er. Sie mussten nicht reden, solange die vergangene Nacht ihnen die Schädel zerbarst. Diese Entscheidung kam Saschas innerlichem Feigling sehr entgegen.
Dennoch, er hatte ein schlechtes Gefühl, als er sich aus der Wohnung schlich und die Tür zuzog. Er glaubte, immer noch Andreas’ Hand auf seinem Rücken zu spüren – als hätte er ein Brandmal auf ihm hinterlassen. Sascha unterdrückte einen sehnsüchtigen Laut und den Gedanken an Andreas’ Bett, das viel zu groß für einen einzelnen Mann war.
Bei diesem Gedanken bohrte sich ein diffuses Gefühl in seinen Hinterkopf, begleitete ihn auf der Treppe nach unten und nahm mit jeder Stufe an Präsenz zu. Ihm war, als hätte er etwas Wichtiges übersehen. Sascha bekam den Ursprung der eigenartigen Empfindung nicht zu fassen, bis er nach draußen trat und auf dem Bürgersteig dem grellen Licht ausgesetzt war. Die Erkenntnis traf ihn, als würde ihm die Sonne Verstand ins Gehirn brennen. Die Schwindelgefühle vertieften sich, und er musste sich an die kühle Hauswand lehnen.
Andreas hatte einen Filmriss? Möglich. Doch nichts konnte darüber hinwegtäuschen, dass er bei klarem Verstand aufgewacht sein musste. Mit dem Kopf auf Saschas entblößter Brust. Umfangen von dessen Armen. Selbst wenn Andreas sich nicht an das Ende der Nacht erinnern konnte, so war er am Morgen mit den Folgen ihres Miteinanders konfrontiert worden. Nackte Haut, geschwollene Lippen, Samen auf dem Bauch und verstreute Kleidung konnte man nicht missinterpretieren.
Und das wiederum ließ nur einen Schluss zu: Andreas wollte Sascha und sich selbst vormachen, dass es die vertrauten Momente auf der Terrasse nie gegeben hatte. Was das für ihre Freundschaft bedeutete, wagte Sascha nicht zu prophezeien.
* * *
»Ich verstehe. Wie willst du in Zukunft mit der Situation umgehen?«
Andreas machte runde Augen und hob halb hilflos, halb gereizt die Hände. Wenn er wüsste, was er machen sollte, hätte er seinem Therapeuten keinen Detailbericht zugemutet, sondern eine Entscheidung gefällt.
Vor zwei Tagen war er auf seiner Dachterrasse aufgewacht und hatte sich wie ein Stofftier gefühlt. Watte im Mund, Watte in den Gehörgängen, Watte im Gehirn, Knopf im Ohr. Oder zumindest Kopfschmerzen, als hätte man ihm mit einem Bolzenschussgerät ein Piercing geschossen. Seine Waden waren verbrannt gewesen, der Oberkörper verschwitzt und Himmel, seine Wange hatte auf Saschas Brust geklebt.
Die Frage, ob er liegen bleiben wollte oder nicht, hatte sich nicht gestellt, weil sein Magen rebellierte und entweder einen sofortigen Gang ins Bad oder eine Flasche Wasser verlangte.
Die Erinnerung der vergangenen Nacht hatte in Bruchstücken vor ihm gelegen. Er kam sich vor wie ein Restaurator, der die Scherben einer antiken Vase vereinen sollte; einige von der Größe eines Notizzettels, andere von der Dimension eines Stecknadelkopfes.
Der vertraute Geruch, der Andreas an den Händen geklebt hatte, hatte sein langsam arbeitendes Gehirn auf die richtige Spur geführt. Vor Überraschung war er auf dem Toilettensitz zusammengesackt. Wie ein Hund hatte er an seinen Fingern geschnüffelt. Mit jedem Atemzug lösten sich Fetzen der vergangenen Nacht aus seiner Erinnerung. Eindringlich hefteten sie sich an sein Bewusstsein und flüsterten ihm Dinge zu, die er nicht hören wollte.
Er hatte fast drei Minuten gebraucht, um nervös zu werden. Drei Minuten, in denen es wichtiger schien, Kopfschmerz, Sodbrennen und Kreislaufbeschwerden zu beschwichtigen, als sich zu fragen, was sie angerichtet
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