Nach der Hölle links (German Edition)
Komm, mach mal ein bisschen Platz.«
Bevor Andreas’ Verstand erfassen konnte, was vor sich ging, reagierte sein Körper. Nicht nur, indem er willig zur Seite rückte, sodass sein neuer Bekannter sich neben ihm an den Baum setzen konnte. Nein, etwas Größeres kam in Gang. Eine Form von Erkennen, das er sich nicht erklären konnte.
Er selbst konnte nicht ahnen, wie verheißungsvoll und unverhohlen seine Musterung des späten Partygastes vonstattengegangen war. Der Hunger stand ihm offen im Gesicht. Weniger höflich ausgedrückt mochte man sagen, dass ihm unübersehbar die Zunge auf dem Boden hing. Erst als der Fremde ihn seinerseits prüfend in Augenschein nahm und schließlich mit einem durchtriebenen Lächeln begann, Andreas mit Blicken auszuziehen, fiel der Groschen.
Von einer Sekunde zur anderen wurde Andreas’ Mund auf positive Weise trocken. Es knisterte. Er hätte nicht sagen können, ob das Geräusch von außen auf ihn eindrang oder von ihm ausging. Die Schlichtheit des Moments überwältigte ihn. Die spöttischen grauen Augen verließen nie sein Gesicht; auch nicht, als sich eine Hand prüfend auf seinen Oberschenkel legte.
Wirre Begrifflichkeiten fluteten durch Andreas’ Kopf und verabschiedeten sich sofort wieder, als ein Kurzschluss durch sein Gehirn feuerte. Es blieb nicht mehr als ein statisches Rauschen und der Eindruck, vor unterdrückter Lust und der Vielfalt der Möglichkeiten aus der Haut zu springen.
Andreas’ neuer Bekannter setzte zum Sprechen an, wollte vielleicht etwas Aufreizendes sagen oder herausfinden, wie seine Chancen standen. Er kam nicht weiter als bis zu einem überraschten Geräusch, da Andreas ihm frei von Hemmungen oder Scham die Hand in den Nacken grub und ihn küsste.
Nicht wie Sascha, dachte er, als ihre Lippen sich berührten. Aber trotzdem gut. Sehr gut sogar. Brauche ich. Will ich. Jetzt.
Lange dauerte die Überraschung seines Gegenübers nicht an. Den Bruchteil eines Atemzugs später hatte er sich erholt, griff seinerseits zu und riss die Herrschaft über den Kuss an sich. In Windeseile war es nicht länger Andreas, der bestimmte, wie innig oder intensiv sie sich küssten. Vielmehr wurde er von einem gewaltigen Sog sexueller Energie und Erfahrung erfasst und umgerissen. Bevor er sich versah, lag ein kräftiger Arm um seinen Nacken und glitt die zweite Hand zwischen seine Beine. Er keuchte vor Dankbarkeit, als kundige Finger zugriffen und ihm den ersten Druck nahmen. Ihm versprachen dafür zu sorgen, dass er alles bekam, was er brauchte.
»Ich sehe schon, ist dringend«, flüsterte es zwischen zwei Küssen. »Wenn du wüsstest, wie mir das entgegen kommt.«
Andreas machte sich nicht die Mühe, verbal zuzustimmen. Stattdessen ließ er das Becken nach oben schießen und rieb sich an der streichelnden Hand.
* * *
»Mein Kopf bringt mich um«, murrte Sascha, während er den halb vollen Becher mit Waldmeister-Wodka-Bowle auf den Boden stellte. In seinen Schläfen hämmerte es und er vermisste Andreas an seiner Seite. »Ich gehe mal raus.«
Brain, der mit geröteten Augen durch den Dunst in seinem Wohnzimmer spähte, nickte langsam: »Guter Plan. Ich komme mit. Aber vorher …«
Er sprang auf, trieb ein flirtendes Pärchen vom Fenster weg und riss es auf. Normalerweise war Lüften bei voll aufgedrehter Musik ein Tabu, denn die Geduld der Nachbarn hing an einem seidenen Faden und niemand hatte Lust auf einen Besuch der Polizei. Gerade an diesem Abend war der Konsum von Gras so unübersehbar, dass eine Stippvisite der Herren in Blau sogar dramatische Folgen haben konnte. Aber Sascha gab Brain recht: Es war nicht mehr auszuhalten. Der Sauerstoffgehalt in der Wohnung schien gleich null zu sein.
Brain legte dem Pärchen je eine Hand auf die Schulter: »Macht in fünf Minuten wieder zu, ja?«
Gemeinsam drängten sie sich durch den Flur. Isa, die in einem gefährlich kurzen Blümchenkleid im Treppenaufgang saß und angeregt mit einer Freundin sprach, zwinkerte ihnen zu.
Draußen lehnte Sascha sich an die warme Hauswand und atmete tief ein. »Aaah, wunderbar. Luft!«
»Zumindest so etwas Ähnliches. Wenn das mit der Hitze so weitergeht, schmilzt wirklich noch der Asphalt auf den Straßen.«
»Wäre eine gute Gelegenheit zu erklären, warum man seine Vorlesungen geschwänzt hat«, grinste Sascha. Er fuhr sich durch die Haare, schüttelte den Kopf und stellte zufrieden fest, dass die Schmerzen bereits nachließen. »Tut mir leid, Prof. Die Bahn ist stecken
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