Nach der Hölle links (German Edition)
war leicht, neckend zu erwidern: »Besitzergreifend heute, hm?«
Dass Saschas Antwort aus einem sehnsüchtigen Blick bestand, wollte Andreas nicht wahrnehmen. Nur in der Tiefsee seines Verstandes zuckte es nervös und erinnerte ihn daran, was das letzte Mal geschehen war, als sie der durchschlagenden Wirkung von Brains Gastfreundschaft ausgesetzt gewesen waren.
Andreas spürte es in seiner Seele schäumen. Da war so viel Leichtigkeit, die mit der milden Sommernacht einherging. Fragen und Zweifel verloren an Gewicht, Schwieriges wurde einfach. Lösungen tanzten um seinen Kopf und warteten darauf, dass er nach ihnen griff.
Eine Bewegung auf der Matratze ließ ihn seitwärts sehen. Sascha hatte sich wieder ausgestreckt. Der Platzmangel zwang ihm eine verkrümmte Haltung auf. Er hätte sich entspannen können, wenn er nur bereit gewesen wäre, den Kopf auf Andreas’ Bein zu legen.
Hier und jetzt fand Andreas den Gedanken nicht schlimm. Sie waren Freunde, betrunken und hatten Narrenfreiheit. Niemand würde sich wundern, wenn er die Gelegenheit nutzte, um Sascha locker die Hand auf die Brust zu legen. Dummerweise war Andreas ziemlich sicher, dass er einen Ständer bekommen würde, sobald er Sascha anfasste. Und so betrunken, um sich nicht den peinlichen Ergebnissen einer solchen Reaktion bewusst zu sein, war er noch nicht.
Andreas lehnte den Kopf an die Wand und ließ Brains Geplapper über sich hinwegrauschen. Eine diffuse Müdigkeit, die mit einer seltsamen Scharfsinnigkeit einherging, ergriff von ihm Besitz. Er hörte sich selbst lachen, sogar Fragen beantworten, aber in Gedanken war er woanders.
Ungefragt galoppierte seine Fantasie auf das Ende der Nacht zu. Wenn er jetzt nichts mehr trank und bald den benebelnden Rauchwolken entkam … Wenn Sascha ihn erneut nach Hause begleitete … Wenn sie wieder enthemmt waren und die Gelegenheit ausnutzten … Er könnte ihr Zusammensein genießen und am Morgen den nächsten Filmriss markieren. Nachdem er Sascha auf sein Bett gedrückt und ihn verzweifelt, genießerisch, akribisch, langsam, hart, spielerisch, schnell, wild durchgenommen hatte. Lippen und Atem und Laute und Hände und Schwänze und ganz viel verschwitzte Haut.
Es war keine gute Idee, seine Gedanken in diese Richtung fließen zu lassen. Zum einen schwindelte ihm angesichts seiner eigenen Vorstellungen und zum anderen brauchte es nun keinen Körperkontakt zu Sascha mehr, um erregt zu sein.
»Der Weg in die Hölle ist mit guten Absichten gepflastert«, zitierte Andreas lakonisch.
Überraschte Blicke folgten ihm, als er schwankend auf die Beine kam und aus dem Wohnzimmer stolperte. Eine Welle emotionaler Energie wollte über ihn hinwegrollen. Weil er nicht ergründen konnte, welche Empfindungen darin verborgen waren, packte er sie am Hals und stopfte sie zurück in sein Unterbewusstsein. Zu sicher war er, unter der vergnüglich-chaotischen Fassade Angst zu wittern.
Die Nacht hieß Andreas willkommen wie eine gute Freundin. Der von geschnittenem Gras bestimmte Geruch aus den umliegenden Gärten, darunter das rauchige Aroma, das vom inzwischen erkalteten Grill ausging. Über all dem lag der olfaktorische Mantel des Sommers. Allein die Rosen im Vorgarten des Hauses, die laut Brain unter allen Umständen pfleglich zu behandeln waren, damit seine Großmutter gnädig blieb, strömten einen betörenden Duft aus. Er war so dick und klebrig, dass man ihn fast greifen konnte.
Die Erinnerung an ähnlich laue Nächte kam Andreas in den Sinn. Nächte, in denen er in der Villa am Fenster gesessen und verzweifelt nach draußen gestarrt hatte. Nächte, die einen förmlich aufforderten, sie an der frischen Luft zu verbringen.
Auf dem Weg zu einem der knorrigen Obstbäume im hinteren Teil des Gartens dachte Andreas, dass er viel erreicht hatte. Ausnahmsweise blieb das spöttische Stimmchen, das ihm stets in leisem Singsang seine Misserfolge um die Ohren schlug, stumm.
Andreas suchte sich einen schief gewachsenen Apfelbaum zwischen Zaun und Plattenweg aus und lehnte sich dagegen. Er sah zu den Blättern hinauf und lauschte dem Gezwitscher im Garten. Dazwischen hörte er ein Mädchen herzzerreißend schluchzen, doch das Brummen einer männlichen Stimme ließ ahnen, dass sie bereits Gesellschaft hatte.
Andreas war dankbar für den aufopferungsvollen Seelentröster. Den wenigen Worten, die das Mädchen gar zu laut in den Garten rief, war leicht zu entnehmen, dass sie zum einen betrunken war und zum anderen in einer
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