Nach der Hölle links (German Edition)
dir muss etwas Anständiges werden.‹ Ich traue es mich kaum zu sagen, aber irgendwann war es leichter, den Mund zu halten und mit dem Strom zu schwimmen. Und auf bessere Zeiten zu hoffen.«
»Den Umzug nach Hamburg.«
»Genau. Aber im Frühjahr … Ich musste irgendetwas tun. Ich dachte, ich verliere den Verstand. Sie war permanent um mich herum und hat mich unter Vorwänden von der Schule abgeholt, damit ich unterwegs nicht verloren gehe. Wenn ich einen Freund zu Besuch hatte, hat sie alle drei Minuten an die Tür geklopft und dumme Fragen gestellt, damit ich bloß nicht schwanger werde.« Katja strich liebevoll über den Rumpf des Alligators. »Es gab nichts, was sie unkommentiert gelassen hätte. Jeden, wirklich jeden Morgen, bevor ich zur Schule ging, hat sie mich gemustert und ihre Kommentare über mein Äußeres abgegeben. Tja, und dann habe ich mich eben in Sack und Asche gekleidet. Sie war zufrieden, und ich auch. Denn ich wusste, dass dieses nette Tierchen auf meinem Bauch herumlungert. Albern, oder?«
Nein, für Sascha war daran gar nichts albern. Katja hatte sich einen Verbündeten geschaffen, der ihr aus dem Verborgenen Kraft gab. Betreten biss er sich auf die Unterlippe. »Warum hast du nichts gesagt?«
Katja holte die Sonnenmilch aus der Seitentasche ihres Rucksacks und begann, sich die Beine einzureiben. Lakonisch zuckte sie die Achseln: »Was hätte das gebracht? Oder wolltest du zurückkommen?«
»Nein, aber vielleicht hätte ich auf sie einwirken können.«
»Du?« Sie schnaubte belustigt.
»Okay, okay. Punkt für dich«, gab er zu. »Es tut mir trotzdem leid.«
»Warum? Du wärst so oder so ausgezogen. So kam es ein Jahr früher als wir dachten. Und keiner konnte ahnen, dass Mama so eigenartig wird. Ich verstehe überhaupt nicht mehr, was in ihrem Kopf vor sich geht.«
»Vermutlich hat sie Schwierigkeiten mit dem leeren Nest. Ihre Kinder sind aus dem Haus. Brauchen sie nicht mehr. Da reagieren viele Frauen stark drauf.«
»Vielen Dank, Herr Psychologe«, spottete Katja liebevoll. »Ändert aber nichts daran, dass ich drei Kreuze mache, dass ich weg bin. Papa tut mir schrecklich leid. Es liegen harte Zeiten vor ihm.«
»Vermutlich. Ich möchte nicht mit ihm tauschen.«
Sascha legte sich auf den Rücken und sah in den bedeckten Himmel. Er war froh, dass Katja von allein auf ihre Mutter zu sprechen gekommen war. Ihre Worte hatten seine Sorgen größtenteils zerstreut. Dennoch war es nicht leicht, anzusprechen, was von ihm verlangt worden war. Er nahm sich ein Herz. »Wo wir gerade bei dem Thema sind: Mama möchte nicht, dass wir Kontakt haben. Ich mache mich praktisch strafbar, weil wir heute schwimmen gegangen sind.«
Es gab ein hässliches, spotzendes Geräusch, als Katja die Tube mit der Sonnenmilch zu hart anfasste. Ein weißer, duftender Fleck bildete sich auf ihrem Oberarm und floss zäh Richtung Ellenbogen. Ungläubig sah sie ihn an: »Wie bitte?«
»Du hast mich schon verstanden.«
Er erzählte, was zwischen der Mutter und ihm vorgefallen war. Katja wurde im Verlauf seines Berichts erst blass, dann bekam sie eine rote Nase. Zwischendurch öffnete und schloss sie wie ein Fisch den Mund.
Als Sascha sie eingeweiht hatte, platzte sie heraus: »Das kann ja wohl nicht wahr sein. Ich rufe sie an. Ich rufe sie noch heute Abend an. Ich glaube wirklich, es hakt. Wie kann sie … Gut, gut. Ich weiß. Stress. Traurig. Kommt mit allem Möglichen nicht klar, aber hey, du bist … oh nein. So nicht. So ganz sicher nicht. Warte mal, habe ich mein Handy dabei?«
Sie riss ihren Rucksack so heftig an sich, dass sich der Inhalt über ihre Badelaken verteilte. Gleichzeitig geriet sie mit ihren frisch eingecremten Beinen in den Sand, sodass sie aussah, als wäre sie paniert worden.
Eine ungemein angenehme Gänsehaut kitzelte Saschas Schultern. Katjas Zorn tröstete ihn.
Trotzdem bemühte er sich, sie zu beruhigen: »Lass es gut sein. Was soll das nützen? Wir wissen alle schon lange, was sie von mir hält. In ihren Augen bin ich verloren. Es bringt doch nichts, wenn du sie jetzt anrufst und sie anschreist. Sie wird ihre Meinung nicht ändern.«
Wie weh es tat, diese Wahrheit auszusprechen.
»Was?« Katja fuhr auf, runzelte die Stirn. Dann fauchte sie: »Schön. Von mir aus. Aber darum geht es doch gar nicht. Oder glaubst du ernsthaft, dass ich noch daran glaube, sie ändern zu können?«
»Worum geht es dann?«
»Darum, dass sie uns manipuliert. Darum, dass sie kein Recht hat, uns
Weitere Kostenlose Bücher