Nach der Hölle links (German Edition)
im Rucksack verschwinden. Die Badehose war zu seinem Ekel nass geschwitzt. Sollte es doch gewittern. Er würde nicht auf sein Bad in der Elbe verzichten. Sascha setzte sich und schob sich die Sonnenbrille auf die Nase.
Katja brauchte länger, um sich ausziehen, war sie doch damit beschäftigt, die unbekannte Umgebung ins Auge zu fassen und ihre Haare zu einem praktischen Zopf zu flechten. Fasziniert spähte sie zu den Hafenaufbauten hinüber und fragte leise, welchem Zweck die gewaltigen Stahltürme galten.
Damit gab sie Sascha Zeit, sich seine Worte zurechtzulegen. Nicht, dass er das nicht bereits in der Nacht zuvor getan hätte. Er wollte gerecht sein und verhindern, dass man ihm Vorwürfe machen konnte, falls Katja sich gegen ihn stellte und ihrer Mutter brühwarm berichtete, was er gesagt hatte. Darüber hinaus war er froh, wenn er es endlich hinter sich hatte. Nichts störte ihn an dieser Situation mehr als die Tatsache, seine eigene Schwester nicht einschätzen zu können.
Sascha beobachtete sie nachdenklich, während sie ein schlichtes Haarband um das Zopfende wand. Hübsch war sie geworden. Hübsch, aber farblos. Ihr früheres Äußeres hatte ihm besser gefallen. Die zerschlissenen Strumpfhosen, die ausgefallene Kleidung, die bunten Strähnen in den Haaren. All das hatte ihr etwas Individuelles gegeben. Für ihn hatte sie die Verwandlung von einem schillernden Paradiesvogel zu einer schlichten Taube durchgemacht.
Sascha fragte sich gerade, ob sie das beige T-Shirt von ihrer Mutter geerbt hatte, als Katja es über den Kopf streifte. Was sich darunter verbarg, ließ ihn verblüfft die Sonnenbrille in die Haare schieben.
Es war nicht nur der äußerst knappe, schwarze Bikini, der ihn überraschte. Viel mehr wurde sein Blick – und auch der einiger umsitzender Männer und Jungen – von der großflächigen Tätowierung angezogen, die sich von Katjas Brustansatz bis zu ihrem Oberschenkel zog.
Ein gewaltiger Alligator kroch über die gebräunte Haut. Der Kopf des Reptils lag auf dem Rippenbogen und beobachtete skeptisch die Umgebung. Sascha war beeindruckt, wie genau die einzelnen Schuppen zu erkennen waren und wie geschickt der Tätowierer das Tier in Szene gesetzt hatte. Es warf einen feinen Schatten und wirkte so echt, als wäre es ein eigenständiges Wesen. Zum Schwanz hin war das Tattoo nicht fertig. Schwarze Linien ohne Innenleben machten jede Bewegung Katjas mit.
»Du hast da ein Viech auf dem Bauch sitzen«, bemerkte Sascha trocken.
Gelassen sah Katja an sich herab und lachte, als sie begriff, was er meinte. Trotzdem rieb sie sich kurz über die Haut, um etwaige Insekten zu vertreiben: »Mein neuer Freund. Wie findest du ihn?«
»Abgefahren«, entgegnete Sascha ehrlich. »Hast du mir gar nichts von erzählt. Wie lange hast du ihn schon?«
Katja setzte sich neben ihn und streckte die Beine aus. »Die Outlines sind gestochen worden, als Mama und Papa im April in Österreich waren. Seitdem immer wieder, wenn ich Zeit und Geld hatte. Alles auf einmal war einfach nicht drin. Nach ein paar Stunden tut es eben doch weh.«
»Mit einer Rose oder einem Teufelchen auf dem Knöchel wolltest du dich nicht zufriedengeben, was?«
Sie verzog das Gesicht. »Nein. Ich wollte etwas Großes. Etwas, das richtig was hermacht.«
»Das tut er«, nickte Sascha. »Was hat Mama dazu gesagt?«
Sie zeigte ihm einen Vogel. »Du glaubst doch nicht, dass sie etwas davon weiß. Sie hätte mich gehäutet – und das meine ich wörtlich. Wenn sie davon wüsste, würde sie mir garantiert Tag und Nacht in den Ohren liegen, dass ich mich unter den Laser packen soll.«
»Was du natürlich nicht tun würdest.«
»Nein, sicher nicht. Aber wer weiß? Vielleicht hätte sie mich niedergeschlagen und zum Arzt geschleppt, während ich ohnmächtig bin?« Sie lachten über die absurde Vorstellung, bis Katja schlagartig ernst wurde. »Ich bin so froh, dass es vorbei ist.«
Fragend sah Sascha sie an. Ihm war unbehaglich zumute. »War es so schlimm?«
»Ja«, gestand Katja verlegen. Ihre Zehen gruben kleine Krater in den Sand. »Ich will dir keinen Vorwurf machen oder so. Aber die letzten Jahre waren ziemlich … derb. Mama ist irgendwie … Ich würde sagen, sie ist nicht mehr ganz dicht. Klingt nicht nett, ist aber so. Sie hat mir keine Ruhe gelassen, seitdem du weg bist. Gerade in den letzten zwölf Monaten habe ich fast zu viel gekriegt. Wir hatten dauernd Streit. Und immer kam die Breitseite mit der Gewissenskeule: ›Wenigstens aus
Weitere Kostenlose Bücher