Nach der Hölle links (German Edition)
beinahe umgedreht. Einmal, als er sich vorstellte, dass Andreas bis zum Ende des Tages im Bad kauerte und das Essen und Trinken vergaß. Dann, als ihm Andreas’ bittere Vorwürfe hochkamen und er das Bedürfnis hatte, sich zu wehren und zu beweisen. Alles war falsch, denn egal, was er tat, man konnte ihm einen Strick daraus drehen. Er war gegangen und hatte Andreas’ Wunsch entsprochen. Gleichzeitig hatte er damit untermauert, dass er ging, wenn es unangenehm wurde. Anders herum hatte er kein Recht, seine Gesellschaft aufzudrängen. Wie sollte er Andreas respektieren, wenn er dessen Wünsche nicht ernst nahm?
Zuhause angekommen hatte er kaum die Kraft, den Schlüssel ins Schloss zu schieben. Ihm kam der Gedanke, dass zwei derbe Rückschläge in 24 Stunden selbst für ihn zu viel waren. Wie ein Zombie trat er in den Flur und ekelte sich vor dem frischen Kaffeegeruch, der ihm aus der Küche entgegen schlug. Müde schob er die Haustür hinter sich zu und lehnte sich dagegen.
Er musste die Augen schließen, sie brannten viel zu sehr. Sie brannten, weil er bei Andreas sein wollte. Gerade jetzt. Sie brannten, weil es wehtat, dass ihm kein Vertrauen entgegen gebracht wurde. Sie brannten, weil zwei der wichtigsten Menschen in seinem Leben ihn nicht bei sich oder ihren Lieben haben wollten.
»Hast du einen Kater oder ist etwas passiert?«, fragte eine freundlich-besorgte Stimme unvermittelt.
Sascha öffnete die Augen und sah seine Tante in der Küchentür stehen. In ihrem rot gebatiktem T-Shirt und mit den chaotisch hochgebundenen Haaren wirkte sie zehn Jahre jünger als sie war. Zwischen ihr und ihrer Schwester lagen Welten.
Er wollte abwinken und sich wortlos in seinem Zimmer verkriechen. Umso erstaunter war er, als er sich sagen hörte: »Mama will, dass ich mich von Katja fernhalte. Und Andreas will mich nicht mehr sehen.«
Tanjas Gedanken waren ihr von ihrem Gesicht abzulesen. Bei der ersten Eröffnung zeigten sich Ärger und Gereiztheit, bei der zweiten wurde ihre Züge weich und mitfühlend. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf, dann lächelte sie Sascha traurig an. »Willst du einen Kaffee und darüber reden?«
Wollte er? Schleppend folgte er ihr in die Küche. Als sie ihm einen Becher hinstellte, trank er. Fühlte sich widerlich, weil er noch nicht die Zähne geputzt hatte. Dachte, dass er lächerlich war, weil ungeputzte Zähne sein kleinstes Problem darstellten. Überlegte, warum sich das Gehirn mit dem Schmutz auf der Treppe beschäftigte, während das Haus in Flammen stand. Konnte nicht denken. Konnte nicht reden.
Saß am Küchentisch und weinte, während Tanja neben ihm saß und seine Schulter streichelte.
Kapitel 37
Unter der Wolkenschicht staute sich die Hitze. Böiger Wind strich über den schmalen Badestrand und griff in die vereinzelten Sonnenschirme. Nicht viele Besucher hatten an diesem Tag ihren Weg an die Elbe gefunden. Die Schwüle belastete den Kreislauf, und im Radio warnte man vor den hohen Ozonwerten. Elektrizität kitzelte als Vorbote auf ein nahendes Gewitter auf der Haut.
»War ja klar«, beklagte Katja sich kopfschüttelnd. »Ich komme nach Hamburg, und das Wetter kippt. Ins Wasser gehe ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil ich nicht vom Blitz erschlagen werden möchte.«
»So bald geht es nicht los. Und was das Baden angeht: Wir sprechen uns in zwei Stunden wieder, wenn der Sand unter dir zu kochen beginnt.«
Sascha blieb stehen und schirmte mit der Hand die Augen ab. Zwei Schiffe fuhren in der Ferne aneinander vorbei. Eines von beiden war ein gewaltiger Katamaran, der nach Helgoland unterwegs war. Sascha erkannte den Schriftzug »Halunder Jet« auf seinem Rumpf.
»Gut hier?«
Katja nickte und warf ihren Rucksack in den feinen Sand. »Besser wird’s nicht.«
Sascha war derselben Meinung, allerdings mochte seine Einschätzung damit zusammenhängen, dass er in diesen Tagen schwer zu begeistern war. Seine Laune war auf dem Tiefpunkt, und es schien keine Besserung in Sicht. Es war Tanjas Drängen zu verdanken, dass er nicht in seinem Zimmer saß und brütete. Sie hatte ihn überredet, wenigstens eine der Baustellen in seinem Leben in Angriff zu nehmen. Bei einem gemeinsamen Nachmittag – und einem Gespräch – mit Katja bestand immerhin die Hoffnung, dass es zu einem guten Ende führte. Von anderen Problemen konnte man das nicht behaupten.
Zwei bunte Strandtücher fielen in den Sand. Sascha trat seine ungeschnürten Chucks von den Füßen und ließ die restliche Kleidung
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