Nach der Hölle links (German Edition)
sagst, du kannst nicht. Vor einigen Wochen hast du gesagt, du willst nicht. Das ist ein Unterschied, wie ich finde. Hat sich denn an deinen Gefühlen zu Sascha etwas geändert?«
»Nein«, antwortete Andreas sofort. Er errötete. »Es hat sich nichts geändert. Aber darum geht es ja auch nicht. Ich kann nicht.«
»Ich finde schon, dass das wichtig ist. Wenn du ihn gar nicht willst, dann brauchst du dir keine Gedanken zu machen, dass er dich verlässt. Du hast immer gesagt, dass du ihn nicht mehr liebst und auch nicht mehr lieben kannst.«
Andreas fühlte sich, als wäre er in eine Falle geraten.
Nein, es hatte sich nichts verändert. Nur seine Sichtweise hatte sich gewandelt. Sicherlich war da etwas Warmes, Starkes in ihm, wenn er an Sascha dachte. Aber er konnte es nicht haben. Sie drehten sich im Kreis.
Er schwieg, wollte seine Gedanken nicht preisgeben. Sie waren ihm peinlich.
Nach einer Minute, in der Köninger ihn ruhig hatte gewähren lassen, wechselte Andreas die Spur: »Er ist nicht gut für mich. Ich meine, sobald er auftaucht, wirft er mich aus der Bahn. Ich konnte heute Morgen nicht arbeiten. Ich habe so hart darum gekämpft, dass es mir besser geht. Selbst wenn ich könnte, würde ich das nicht riskieren wollen. Es ist doch dumm, sich auf etwas einzulassen, wovon man am nächsten Morgen krank ist, oder?«
Köninger lächelte. »Auf dem Papier mag das Sinn machen. Aber so funktioniert das Leben nicht. Wenn es danach geht, dürfte keiner von uns morgens das Haus verlassen. Jedes Mal, wenn wir ins Auto steigen, riskieren wir etwas. Jedes Mal, wenn wir jemandem die Hand geben, gibt es eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass wir uns mit einer unangenehmen Krankheit anstecken. Und jedes Mal, wenn wir einem anderen Menschen gestatten, uns nah zu kommen, riskieren wir, dass wir enttäuscht werden. Aber ich glaube, du hast inzwischen gelernt, dass viele Dinge anfangs schwer zu bewältigen sind und es hinterher trotzdem wert sein können.«
»Soll das heißen, ich soll mit Sascha zusammen sein? Obwohl ich weiß, dass es mich umbringt, wenn er mich wieder verlässt?«
Da kann ich mich ja gleich vom Balkon werfen, dachte Andreas und schämte sich für seine Melodramatik.
»Nein, das werde ich so sicher nicht sagen«, zuckte der Therapeut die Achseln. »Ich kann dir keinen Rat geben. Dazu habe ich gar kein Recht. Du selbst musst entscheiden, was dir gut tut und wozu du dich bereit fühlst. Ich möchte nur anmerken, dass du am Anfang nicht wolltest, dass Sascha Teil deines Lebens ist. Das war sehr verständlich. Dann hast du deine Meinung geändert. Du hast seinen Wert für dich erkannt, aber du hast dir gewünscht, dass ihr Freunde seid. Seine Freundschaft hat sich als wertvoll erwiesen. Sie war anstrengend, aber sie hatte positive Effekte. Du bist dadurch selbstsicherer geworden, weniger bitter. Nun sagst du mir, du kannst nicht über deine Ängste hinwegsehen. Das wirft die Frage auf, ob du dir wünschst, es wäre anders. Es ist ein wirklich großer Unterschied, ob du sagst: Ich kann nicht. Oder ob du sagst: Ich will nicht.«
»Das ist doch Wortklauberei«, knurrte Andreas.
Plötzlich lachte Köninger auf: »Es gibt Leute, die behaupten, dass Psychotherapie nichts anderes als Wortklauberei ist. Und manchmal stimmt das sicher auch. Aber ich finde die Frage wichtig. Du musst nicht meiner Meinung sein. Ich sage nur, was ich denke.«
Unbehaglich trommelte Andreas auf die Armlehne seines Sessels. Er konnte nicht denken. Ihm war, als blute er innerlich. Es war ein Augenblick zwischen gnadenloser Klarheit und deprimierender Finsternis. Er fühlte sich bloßgestellt und wollte zornig sein, weil Köningers Art ihn anwiderte. Selbst er erkannte darin ein Ablenkungsmanöver von den Dingen, die ihn wirklich aufwühlten.
»Gesetzt den Fall es wäre so«, begann er nach einer Weile. Er hatte Herzklopfen. »Nur für den Fall, wie gesagt. Was würde sich für mich ändern, wenn ich denke, dass ich gern mit Sascha zusammen wäre, es aber nicht kann.«
»Nun, eine Menge. Es würde die Frage aufwerfen, ob deine Gefühle für Sascha etwas sind, was du auf Dauer ausleben möchtest. Sind sie es wert, für sie das Risiko einzugehen, verletzt zu werden? Das kannst nur du entscheiden. Außerdem müssten wir uns darüber unterhalten, wie stark deine Furcht dich behindert. Du hattest früher oft Angst. Du hast aber gelernt, dass man sich einigen dieser Ängste stellen muss. Sei es, um ein geregeltes Leben zu führen oder um sich
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