Nach der Hölle links (German Edition)
schlechtes Gewissen oder so, aber mich killt das. Gott, ich bin so armselig. Ich … du solltest nicht hier sein. Nie wieder. Ich will dich hier nicht haben.«
Er warf eine Rolle Toilettenpapier in Richtung Tür. Sie prallte an der Dusche ab und rollte nutzlos unter das Waschbecken.
Überfordert lauschte Sascha dem Ausbruch. Andreas’ Stimme kippte, während sie Minderwertigkeitskomplexe und Misstrauen in den Raum schoss. Er hatte so viel gelesen. Mit Menschen gesprochen, lange, nachdem Andreas nicht mehr Teil seines Lebens war. Akribisch hatte er sich informiert und vorbereitet in der irrigen Hoffnung, dass er eines Tages eine Chance bekommen würde oder jemand anderen traf, dem er an Andreas’ Stelle helfen konnte.
Doch nichts konnte einen vorbereiten, musste er feststellen. Er fühlte sich sogar hilfloser als vor Jahren in der Villa, weil es dieses Mal nicht die Möglichkeit gab, Andreas an die Hand zu nehmen und in Sicherheit zu bringen. Es war, als wollte das Schicksal Sascha zeigen, auf was er sich einließ und ihn fragen, ob es das war, was er auf Dauer wollte. Jemanden, der morgens schlotternd im Badezimmer saß und vor Angst die Wände hochging.
Als wären Andreas’ getriebene Gedanken in ähnlichen Bahnen unterwegs, kiekste er: »Meine Wohnung … ich habe mich hier sicher gefühlt. Und du machst alles kaputt. Geh doch endlich. Ich muss kotzen. Ich will nicht, dass du … mir dabei zuschaust.« Er würgte, aber es kam nichts hoch. »Ich habe dich nicht eingeladen … nie habe ich dich eingeladen. Aber du … du trampelst hier rum … und glaubst zu wissen …« Ihm drohte die Stimme zu versagen, als ihn ein Weinkrampf schüttelte.
Sascha robbte näher und streckte die Hand aus. Innerlich beschwor er Andreas, locker zu lassen, damit er ihn trösten konnte.
Doch bevor er ihn erreichte, hob der den Kopf und flüsterte: »Geh. Wenn dir irgendetwas an mir liegt, dann … bitte. Ich will nicht, dass du mich so siehst. Und ich kann nicht. Ich kann nicht sein, was du … es geht einfach nicht. In einem anderen Leben … bitte, bitte lass mich allein. Solange du hier bist … ich kann nicht atmen. Es war so schön, aber ich kann nicht …«
Sascha begriff, dass er Andreas nicht zwingen konnte. Er wusste nicht einmal, ob er die Kraft dazu hätte. Andreas vertraute ihm nicht mehr. Damals, als er ging, war endgültig etwas zerstört worden, das schon vorher in Scherben gelegen hatte. Sascha war damit umgegangen wie ein unwissendes Kind, das auf einem Ameisenhügel herumspringt. Es war keine Absicht gewesen, und um Schuld ging es zwischen ihnen schon lange nicht mehr. Das Problem war nur, dass Andreas ihm nicht mehr entgegen kommen konnte.
»Gut«, flüsterte Sascha erstickt. »Willst du wirklich, dass ich gehe? Ich könnte auch …«
»Ja! Bitte … lass mich alleine. Und … melde dich nicht, ja?«
Andreas barg den Kopf zwischen den Knien und konnte ihm nicht in die Augen sehen. Seine letzten Worte waren ein verbaler Todesstoß. Sascha wusste es.
Melde dich nicht. Melde dich nicht. Verschwinde aus meinem Leben. Lass mich allein.
Zu gern hätte er Andreas gesagt, dass es ihm bitterernst war. Dass er wusste, worauf er sich einließ. Aber er brachte es nicht über sich.
Sascha verabschiedete sich nicht. Taubheit begleitete jeden seiner Schritte, als er ins Schlafzimmer ging und sich langsam, mit mechanischen Bewegungen, anzog. Er merkte, dass er versuchte, die Zeit zu betrügen, indem er seine Socken öfter wendete als nötig und seine Shorts gewissenhaft abklopfte, bevor er sie überstreifte.
Sein Herzschlag kam ihm flach vor. Wie der Gesang eines einzelnen Chorknaben in einer Kathedrale mit schlechter Akustik. Nichts tun zu dürfen, war schrecklich. Er war versucht, Andreas wenigstens eine Flasche Wasser zu bringen. Eine Decke, falls er gedachte, länger auf den Fliesen im Bad zu kauern. Vielleicht das Telefon für den Fall, dass er seinen Therapeuten anrufen wollte.
Sascha neigte geschlagen den Kopf. Er versuchte, Zeit zu schinden. Und er tat es, obwohl Andreas ihn angebettelt hatte, zu verschwinden, damit er sein Reich für sich haben konnte. Fragte sich, wer von ihnen armselig war. Wenn Andreas es war, war Sascha es definitiv auch.
Auf dem Heimweg war er nicht bei sich. Das Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben, drückte ihm die Luft ab. Wäre es nicht besser gewesen, die Sache mit Andreas auszusitzen? Oder griff er damit zu weit in dessen Selbstbestimmungsrecht ein?
Zwei Mal wäre Sascha
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