Nach der Hölle links (German Edition)
selbst etwas Gutes zu tun. Im Grunde ist deine Angst, dich auf eine Beziehung einzulassen, nicht anders.«
»Sie ist begründet! Er hat mich schon einmal hängen lassen!«
»Das mag sein. Aber er ist zurückgekommen. Er wusste genau, was ihn erwartet. Er musste sogar damit rechnen, dass es dir bedeutend schlechter geht. Und du hast mir selbst erzählt, dass die jahrelange Sendepause nicht Saschas Wille war. Er war nach wenigen Tagen an einem Punkt, an dem er sein Verhalten bereut und nach dir gesucht hat. Am Ende geht es bei allem, was wir tun, darum, abzuwägen, ob wir das Risiko auf uns nehmen wollen oder nicht«, erklärte Köninger. »Für die meisten Menschen ist es sehr wichtig, sich auf eine Beziehung einlassen zu können. Für andere ist es zweitrangig. Aber es sollte nicht zweitrangig sein, weil man Angst hat.«
»Ich kann das nicht«, wehrte Andreas ab. Er wiederholte sich und wusste das. »Mir ging es Samstagmorgen so verflucht elend. Wenn ich zulasse, dass Sascha und ich wieder … Mir würde es dauernd schlecht gehen. Und ich will das nicht mehr. Ich möchte einfach meinen Frieden haben und meinen Turn durchziehen können. Ich will keine Panikattacken haben, nur weil ich morgens neben ihm aufwache und denke: ›Wow, das war das erste und einzige Mal.‹ Ich will mich nicht mühevoll an ihn gewöhnen, nur damit er nach einem Jahr wieder weg ist.«
»Wie gesagt, das ist allein deine Entscheidung. Allerdings solltest du darüber nachdenken, wie schwer unter diesen Umständen der Umgang mit Sascha sein wird.«
Andreas’ Kopf flog hoch. »Was soll das denn heißen? Welche Umstände?«
Der Therapeut machte ein ernstes Gesicht. »Es heißt, dass du dir überlegen solltest, ob der weitere Kontakt mit Sascha dir gut tut. Oder ihm. Wenn man sich zueinander hingezogen fühlt und nicht bereit ist, darauf aufzubauen, ist es vielleicht ungünstig, allzu viel Zeit miteinander zu verbringen. Das kann durchaus schmerzhaft sein, wenn man ineinander verliebt ist. Und auch, wenn die Situation für dich sicherlich sehr viel schwieriger ist als für Sascha, sollte man ihm gegenüber fair sein und ihm nicht absichtlich wehtun.«
»Ich tue ihm nicht weh! Das würde ich nie tun!«
»Aber du liebst ihn. Zumindest streitest du das nicht ab.«
Andreas rückte den Stuhl zurück, stand auf und ging. Er wusste, dass ihm damit nicht geholfen war, aber es war ihm fürchterlich egal. Er konnte Köninger nicht länger ins Gesicht sehen. Seine Wangen brannten, als er durch den halbdunklen Flur nach draußen stürzte. Er glaubte, in Panik geraten zu müssen, und für eine Sekunde tat er es auch. Dann ebbte das flaue Gefühl in Bauch und Kopf ab, und er fand sich auf dem Bürgersteig wieder.
Eine Frau in mittleren Jahren mit einem geblümten Sommerkleid warf ihm einen neugierigen Blick zu. Zwischen zwei Bordsteinen klaffte eine Lücke, in die jemand den Verschluss einer Cola-Flasche geklemmt hatte. Ein Ölfleck verdunkelte den Asphalt der Straße. Daneben zog sich eine Spur gelber Farbe, die ein fahrendes Auto verloren hatte. Sie war frisch. Ihr Geruch lag in der Luft.
Andreas fühlte sich leicht und bleischwer zugleich. Unwichtige Details sprangen ihm ins Auge, wichtige übersah er. So fiel ihm nicht auf, dass sein linker Schuh offen war oder dass ihm eine Strähne auf den Lippen klebte, obwohl er das Gefühl von Haaren im oder am Mund zutiefst verabscheute.
Er wartete auf die Angst. Er wartete darauf, dass sich der Boden vor ihm öffnete. Er wartete darauf, dass sein Verstand sich zurückmeldete und ihm eins drüber gab.
Nichts geschah. Nur sein Herzschlag war und blieb erhöht.
Als Andreas viel später an diesem Tag den Computer einschaltete und in sein Postfach sah, musste er lächeln; scheu und zurückhaltend vielleicht, aber echt.
Seit Samstag war jeden Tag eine E-Mail eingegangen. Immer ohne Betreff und ohne Text. Immer vom selben Absender.
Nur ein winziger schwarzer Punkt auf dem Bildschirm, der sagte: »Ich bin da, und ich habe dich nicht vergessen.«
Er brauchte lange, bis er sich eine Antwort überlegt hatte. Am Ende entschied er sich für ein schwarzes Ausrufezeichen und hoffte, dass Sascha verstand.
Andreas wusste nicht, was richtig war. Köninger tat ihm nicht den Gefallen, ihm das Denken abzunehmen. Er hatte ihm nicht einmal eine Tendenz gegeben, mit der er arbeiten konnte. Doch seine Penetranz machte es unmöglich zu vergessen, wie sehr es sich lohnen konnte, die Angst zu bekämpfen.
Daran musste Andreas
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