Nach der Hölle links (German Edition)
Beine eingeknickt. Das lange Sitzen in angespannter Haltung hatte ihm hässliche Krämpfe in den Waden beschert. Todmüde war er außerdem gewesen. Er hatte es gerade noch geschafft, sich die Schuhe auszuziehen, bevor er auf ihr breites Doppelbett fiel und einschlief.
Es war eine ruhige Nacht gewesen. Sascha hatte sich im Vorfeld auf Albträume und Panikattacken eingestellt. Aber daran war nicht zu denken gewesen. Andreas lag zusammengerollt wie ein Dachs in seinem Bau und hatte sich nicht mehr gerührt. Die größte Herausforderung war gewesen, die um ihn gewickelten Decken zu heben, sodass Sascha zu ihm kriechen konnte.
Zufrieden ließ er den Blick durch den offenen Küchenbereich schweifen. Eine schmale Theke trennte die Kochecke vom Wohnzimmer. Die Kiefernholz-Täfelungen gaben der Umgebung etwas Gemütliches, auch wenn es Sascha vorkam, als könne man die Wände mit einem versehentlichen Tritt in den nächsten Raum befördern. Außerdem roch es gut: nach Dünengras, Salz, Kaffee und Semesterferien.
Triton hatte genug von der fremden Umgebung und trottete zurück ins Haus. Schnell schnüffelte er, erfasste die vielversprechende Lage und setzte sich vor Sascha auf den Linoleumfußboden. Seine dunklen Augen fixierten die Waffeln.
»Das ist kein Hundefutter«, erklärte Sascha halblaut. »Das weiß du ganz genau.«
Ob Triton es wusste oder nicht, ließ er sich nicht anmerken. Auf jeden Fall hielt es ihn nicht vom Betteln ab. Er ließ sich auf den Boden sinken und sah Sascha voller Weltschmerz an, während er zaghaft mit der Rute wedelte.
»Ist ja schon gut. Bei dem Stress gestern hast du dir eine Ausnahme verdient«, murmelte Sascha, bevor er dem Rüden eine halbe Waffel hinwarf.
Für Triton war die Fahrt anstrengend gewesen. Nicht nur, dass er sich bei jeder Kleinigkeit erschrocken und angeschlagen hatte, die Aufregung war ihm auch auf die Blase geschlagen. Das Ergebnis war eine versaute Hundedecke, die sie an einer Raststätte kurz entschlossen in den Mülleimer gestopft hatten. Es war Andreas gewesen, der erneut kopfschüttelnd meinte, dass sein Hund ihm viel zu ähnlich wäre.
Nachdenklich nippte Sascha am Kaffee. Er fragte sich, was der Tag bringen würde.
Als sie gestern ankamen, gestand Andreas, dass er sich nicht vorstellen konnte, das Ferienhaus zu verlassen. Sascha sah weniger schwarz. Er baute darauf, dass sich Andreas’ Anspannung nach etwas Eingewöhnungszeit lösen würde.
Dennoch fürchtete er ein wenig die Vorstellung eines unglücklichen Andreas’, dem nachdrücklich seine Grenzen aufgezeigt wurden. Das war das Letzte, was Sascha wollte. Ihr erster gemeinsamer Urlaub sollte ein Erfolg werden – innerhalb der Möglichkeiten, verstand sich.
Der Gegenwind im vergangenen Jahr war stellenweise fast unerträglich gewesen. Es hatte Augenblicke gegeben, in denen Sascha das Gefühl gehabt hatte, sich mehr auf Andreas zu lehnen als anders herum. Damit war die Angst einhergegangen, ihn zu überlasten. Das Gleichgewicht zwischen ihnen war mehr als einmal in Gefahr geraten, und sie waren auch gestolpert, aber das änderte nichts daran, dass Sascha dankbar war. Seine unsinnigsten, in die einsamsten Nachtstunden verdrängten Träume waren wahr geworden.
Er hatte ein neues Bewusstsein für Werte entwickelt, hatte sich verändert. Manchmal wusste er nicht, ob zum Besseren oder Schlechteren. Die Leichtigkeit war ihm abhandengekommen. Es gab Stunden, in denen er zur Melancholie neigte und in denen ihn alles überforderte, was über das faule Herumliegen in Andreas’ Umarmung hinausging.
Das Schlimme war: Er zahlte den Preis für die Funkstille mit Karen – er nannte sie nicht mehr Mutter – nicht allein. Sein Vater sprach nicht über häusliche Dinge, erst recht nicht über seine Ehe. Aber Sascha wusste, dass er selbst zum Keil für seine Familie geworden war.
Seine Homosexualität sollte allein sein Problem sein. Stattdessen lebte sein Vater zwischen den Welten, konnte Karen nicht loslassen und fühlte sich für sie verantwortlich. Und Katja … Katja hasste auf eine Weise, die weit über Saschas Empfindungen hinausging. Sie war es, die ihre Mutter attackierte, die ihr ungeachtet der Chance, etwas zu bewegen, vor Augen führte, was sie anrichtete. So gut es ihm tat, dass Vater und Schwester zu ihm standen, so sehr schmerzte ihn, dass hinter ihm ein Trümmerfeld lag. Er war nicht schuld und würde sich nichts anderes einreden lassen, aber es tat weh, darum zu wissen.
Ein Tapsen im Flur vertrieb
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