Nach der Hölle links (German Edition)
trippelte auf der Stange seitwärts und gab einen kläglichen Laut von sich. Sein erbärmliches Äußeres machte den Papagei zu einem der vielen Insassen des Tierheims, die lange auf ein neues Zuhause warten mussten. Über Jahre allein gehalten, hatte Sir Paul sich akribisch von seinem Federkleid befreit.
Andreas mochte den grauen Papagei mit der nackten Brust und der merkwürdig menschlichen Kopfhaltung. In vielen Belangen erinnerte er ihn an sich selbst. Eingepfercht, allein gelassen, von Artgenossen ferngehalten. Selbst, dass Sir Paul von Zeit zu Zeit die Hand zwickte, die ihn fütterte, störte ihn nicht. Zu gut konnte er das Verhalten des Papageis verstehen. Ihm war auch oft nach Beißen zumute.
Melancholisch nickte Andreas seinem gefiederten Freund einen Gruß zu, bevor er das Gitter der Voliere verschloss und sich auf den Weg in die Garderobe der Tierpfleger machte.
Ein harter Arbeitstag lag hinter ihm. Natürlich kein ganzer Tag. Lediglich die paar Stunden am Vormittag, die er im Zuge eines Praktikums an fünf Tagen in der Woche hinter sich bringen musste. Um am Leben teilzunehmen. Um sich an einen geregelten Tagesablauf zu gewöhnen. Um zu üben, ein Mensch zu sein.
Andreas beeilte sich. Er wollte das Tierheim schnell hinter sich lassen. In weniger als einer halben Stunde öffneten sich die Tore, um Paten und Interessenten einzulassen. Der Trubel war zu viel für ihn. Besonders, da die Hunde jeden Besucher wild bellend begrüßten und mit runden Augen um ein neues Herrchen oder Frauchen bettelten. Es tat weh zu sehen, dass die niedlichen Welpen innerhalb kürzester Zeit vermittelt wurden, während ältere Tiere oder Angehörige der angeblich gefährlichen Hunderassen chancenlos blieben.
Aber das war nicht der Hauptgrund für Andreas’ Aversion gegen die öffentlichen Besuchszeiten. Sie warfen ihn aus dem Rhythmus. Fragen von Fremden durchbrachen seine Konzentration, sodass er an Sicherheit verlor und in Panik geriet; immer noch und trotz all der harten Arbeit.
In der Gewissheit, dass er es für diese Woche geschafft hatte, glitt Andreas wie ein Schatten in den Personalraum. Gehetzt vom Wunsch nach Abgeschiedenheit und der Sicherheit der eigenen vier Wände riss er seine Jacke von der Garderobe.
In seiner Eile stieß er in der Tür mit Mandy zusammen. Seine Kollegin schnaufte erschrocken, bevor sich ein schiefes Grinsen auf ihrem asymmetrischen Gesicht zeigte. »Ach, du bist es. Hast es wieder eilig, von uns wegzukommen, ja?« Ein breiter sächsischer Akzent spülte jedes ihrer Worte weich.
Verlegen senkte Andreas den Blick, doch er schämte sich nicht allzu sehr. Alle Mitarbeiter des Tierheims wussten um seine Schwierigkeiten und akzeptierten sie.
Gerade Mandy machte es ihm leicht, sich aus der Affäre zu ziehen, ohne sich dumm vorzukommen. Er mochte die vierschrötige Tierpflegerin, die eine süße Frucht in einer rauen, wenn nicht gar hässlichen Schale darstellte.
»Nicht von euch«, murmelte Andreas leise. »Aber du weißt ja, wie es ist …«
»Klar, weiß ich«, lächelte Mandy und entblößte ihre winzigen Mausezähne. »Hast du Lust auf Besuch am Wochenende? Oder ist dir eher danach zumute, dich zu verkriechen?«
»Letzteres«, erwiderte er. »Läuft im Moment nicht so gut.«
»Das tut mir leid. Dann sehen wir uns nächste Woche.« Mandy gab Andreas einen Klaps auf die Schulter. »Lass dich nicht unterkriegen.«
Zum Abschied machte sie sich lang und drückte ihn kurz, aber herzlich an sich. Es war ihr ganz persönliches Ritual. Kein leeres Gerede. Keine guten Wünsche, die sich nicht realisieren ließen. Stattdessen eine Spur Menschlichkeit, die Andreas gut tat.
In seiner mit Staub und Heu besudelten Arbeitskleidung verließ er das Tierheim und ging mit weichen Knien in Richtung Haltestelle. Dort angekommen setzte er sich auf die Bank, stützte das Kinn auf die Hände und sammelte Kräfte.
Etwas in ihm wollte zu Fuß nach Hause gehen. Zehn Kilometer Fußmarsch gen Nordwesten erschienen ihm verführerischer als eine Fahrt mit dem überfüllten Linienbus. Den Rest der Strecke, den er in der U-Bahn hinter sich bringen musste, konnte er noch weniger leiden. Aber es gehörte dazu, dass er sich dem stellte. Er war sich selbst verpflichtet. Sein ganzes Leben war Training. Manchmal kam es ihm vor, als würde er keinen Schritt vorwärtskommen.
Zum Glück gab es Menschen, die ihn unterstützten. Es waren nicht genau die Personen, deren Hilfe er sich wünschte. Es waren auch nicht so viele,
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