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Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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monatelang hatte Sascha sich detailliert zurechtgelegt, was er sagen wollte, wenn sie sich endlich wiedersahen. Jedes Wort schien an die Rückseite seines Stirnbeins graviert zu sein. Aber als er an die Bar trat und Andreas sich zu ihm umdrehte, musste Sascha feststellen, dass der Text nicht zu lesen war. Er hatte nicht mehr mit einem Wiedersehen gerechnet und die Gravur verstauben lassen. Im ersten Jahr – vor allen Dingen in den Wochen direkt nach ihrer Trennung – hatte er gekämpft, im zweiten Jahr gehofft, im dritten Jahr resigniert.
    Es quietschte, als Sascha tiefer ins heiße Wasser glitt und sein Oberkörper in einem Schaumberg versank. Er hasste die Badewanne der WG. Ständig kühlten Schultern, Knie oder Füße aus. Egal, wie er seine Beine anwinkelte, nie fand er genug Platz, um bis zur Nasenspitze im Wasser zu liegen. Gerade heute wollte Sascha mit Freuden im Schaum untergehen.
    Er war nicht in die Kneipe zurückgekehrt, nachdem er Andreas nachgerannt war. Die Vorstellung, sich den Fragen seiner Freunde zu stellen, erschien indiskutabel. Stattdessen war er kreuz und quer durch die Innenstadt gelaufen, bis er betäubt in einen Bus stieg, der ihn nach Hause brachte. Glücklicherweise hatte Nils ihn nicht heimkommen hören.
    Kein Wunder. Die House-Musik aus seinem Zimmer war laut genug, um die Oberfläche des Badewassers in Schwingung zu versetzen und Vögel tot vom Dach fallen zu lassen.
    Sascha machte sich klein, bis sein Kopf untertauchte und das Dröhnen zu einem Pulsschlag im Wasser verkam. Jede seiner Bewegungen löste Rauschen und Schwappen um ihn herum aus. Ihm kam der Gedanke, dass er dringend einen Schnorchel brauchte. Stundenlang unter Wasser liegen zu können, erschien ihm ausgesprochen verführerisch.
    Sascha tauchte nach Luft schnappend auf, als die Badezimmertür aufflog und ein sichtlich überraschter Nils im Rahmen stand. »Was tust du denn hier?«
    »Baden.«
    »Das sehe ich selbst. Aber seit wann bist du zu Hause? Ich habe dich gar nicht gehört.« Nils’ Haare standen zu Berge; ein sicheres Indiz, dass er gelernt und sich über chemische Zusammenhänge stöhnend die Frisur zerzaust hatte.
    Missmutig verzog Sascha das Gesicht. »Wie denn auch? Mir ist schleierhaft, wie du bei der Pornodisco-Mucke lernen kannst.«
    »He, was hat dich denn gebissen?« Nils löste sich aus der Tür und trat an die Badewanne.
    »Gar nichts.«
    »Ist klar«, entgegnete Nils ironisch und hockte sich neben Sascha. »Immer, wenn du spießig wirst, ist dir irgendetwas über die Leber gelaufen. Als würdest du nicht selbst die Anlage bis zum Anschlag aufreißen, wenn du lernst. Also, was ist los?«
    »Ja, aber ich höre ja auch richtige Musik und keine Retorten-Humpahumpa-Scheiße, bei der einem das Gehirn verödet«, umging Sascha die Frage. Er fand sich selbst blöd. Aber musste Nils gerade jetzt fürsorglich fragen, was ihn bedrückte? Ausgerechnet Nils, dem er beim besten Willen nicht erzählen konnte, was in ihm vorging?
    »Bei meiner Mucke bekommt man wenigstens keine Depressionen«, murmelte Saschas Freund sichtlich überrascht von dessen abweisender Art. »Aber ist ja auch egal. Ich pinkel eben und dann verschwinde ich wieder.«
    Meistens kamen sie gut in ihrer Wohngemeinschaft zurecht. Nur in Augenblicken wie diesen hasste Sascha die Tatsache, dass es nur ein Bad gab. Nicht, dass er sich ekelte, wenn Nils neben ihm die Toilette benutzte. Er wollte lediglich seine Ruhe haben. Und deswegen benahm er sich wie ein Schwein.
    »Nils«, sagte Sascha leise, als der seine Jeans wieder schloss. Fordernd streckte er die Hand nach ihm aus. Als sein Freund nach ihr griff, zog Sascha ihn zu sich herunter und küsste ihn. Ein bisschen grob, aber herzlich. »Sorry.«
    »Schon gut«, gab Nils sanft zurück. Er strich Sascha über die Schulter. »Du weißt ja, wo du mich findest.« Damit verabschiedete er sich und schloss die Tür hinter sich.
    Zurück blieben ein Hauch von Minze, Schaum, Wasser, das sich abkühlte und ein Student, der nicht wusste, wo ihm der Kopf stand. Sascha wollte nicht denken. Er wollte erst recht nicht fühlen. Er wollte sich nicht schämen, kein schlechtes Gewissen haben, nicht enttäuscht sein. Und schon gar nicht gleichzeitig dankbar, glücklich und so verflucht stolz, dass ihm die Augen feucht wurden.
    Andreas, sein Andreas. Draußen in der realen Welt.
    In seiner Not hatte Sascha damals die Villa der von Winterfelds umkreist wie ein Satellit. Wenn er nachts allein im Bett lag und Andreas so

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