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Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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sehr vermisste, dass er nicht schlafen konnte, hatte er sich ausgemalt, durch die Lücke in der Hecke auf das Nachbargrundstück zu schlüpfen. Die Kellertür aufzubrechen. Sich durch das Haus zu schleichen und an Andreas’ Tür zu kratzen, bis er ihn einließ. Er hatte darauf gebaut, ihn bei einer der seltenen Gelegenheiten abzufangen, wenn Andreas in den Garten ging. Er hatte überlegt, ob er dessen E-Mail-Account bombardieren und auf elektronischem Wege die Drähte zum Glühen bringen sollte, bis Andreas sich meldete und schrieb: »Okay, komm her. Wir können reden.«
    Damit, seinem Ex-Freund eines Tages in einer Kneipe gegenüberzustehen, hatte Sascha nicht gerechnet. Die Theorie, dass Andreas sein Heil in der Flucht ins Jenseits gesucht haben könnte, war mehr und mehr zur fixen Idee geworden.
    Aber er war dort gewesen. Heute Abend in dieser Kneipe. So nah, dass Sascha ihn berühren konnte. Definitiv sehr lebendig und ja, frei. Der Andreas, den Sascha in Erinnerung hatte, hätte nie gelassen an einer Bar sitzen und Bier trinken können. Seine Haut hatte auch nie eine gesunde Sonnenbräune besessen. Und obwohl er für Sascha immer ein gut aussehender Teenager gewesen war, war er als erwachsener Mann noch tausend Mal anziehender. Einzig die halblangen Haare gefielen Sascha nicht. Zu gern hatte er früher Andreas’ Strähnen über seine Oberschenkel streifen gespürt.
    Frustriert schlug Sascha auf die Wasseroberfläche ein. Schaum spritzte hoch und verteilte sich auf den hellgrünen Fliesen und Svenjas nach Karibik riechendem Duschgel. Da saß er hier und verlor sich in der Erinnerung, wie es gewesen war, mit Andreas ins Bett zu gehen. Warum tat er sich das an?
    »Was willst du von mir? Hau schon ab! Das kannst du doch so gut.«
    Ja, das konnte Sascha bestens. Wegrennen, wenn es hart auf hart kam. Vollkommen egal, ob es um Streitigkeiten mit seiner Mutter, Querelen mit Nils oder eben Andreas ging. Sascha wich gerne aus, wenn er nicht mehr Herr der Lage war. So viel hatte er mittlerweile über sich selbst gelernt. Das Schlimme war, dass man gewisse Dinge nicht ungeschehen machen konnte, selbst wenn man es inzwischen besser wusste.
    Welchen Weg war Andreas gegangen? Wer hatte ihn begleitet? Sascha war inzwischen klar, dass man eine so schwerwiegende Störung nicht durch Willenskraft allein aufbrechen konnte. Andreas musste Hilfe bekommen haben. Waren die Eltern auf ihn zugegangen? Oder hatte Ivana doch irgendwann jemanden verständigt? War er es selbst gewesen, der die Käfigtür von innen auftrat?
    Die Vorstellung eines Andreas, der sich verbissen durch die härtesten Therapiemaßnahmen kämpfte, war erschütternd. Erschütternd und grandios. Unmenschliche Kräfte und Mut mussten ihn an den Punkt geführt haben, an dem er jetzt war.
    Gott, Sascha war so stolz auf ihn. Dumm nur, dass er kein Recht dazu hatte. Man konnte nicht im Nachhinein dazukommen und stolz sein, wenn man selbst versagt hatte. Wenn man nicht da gewesen war, um einen schweren Weg leichter zu machen.
    Sascha erhob sich so ruckartig, dass er beinahe ausglitt. Mit einem Mal erschien ihm die Idylle des Schaumbades unpassend; wie etwas, das er sich widerrechtlich angeeignet hatte und das er nicht verdiente. Ein Teil von ihm wusste, dass solche Überlegungen blödsinnig waren. Das bedeutete aber nicht, dass er sie wie ein defektes Radio abstellen konnte. Er hätte in diesem Augenblick zu gern einen Knopf zum Abschalten gehabt, wie Lieutenant Commander Data auf der Enterprise. Als er unwillkürlich in den Spiegel sah, erwiderte jemand seinen Blick, den er zumindest heute Abend nicht mochte.
    Zehn Minuten später gesellte sich zu Nils’ wummernder Musik das Geräusch eines Tennisballs, der in regelmäßigen Abständen gegen die Wand flog. Werfen, anschlagen, einmal auf den Boden tippen, auffangen. Mechanisch führte Sascha die Bewegungen aus. Die Flugbahn des neongelben Balls hypnotisierte ihn.
    Gegen seinen Willen gab er dem Sog der Erinnerungen nach. Sie drängten sich durch die Katzenklappe seines Verstandes und weigerten sich zu gehen, bevor er ihnen Beachtung schenkte.
    Wie unsicher war er gewesen, nachdem er den schlafenden Andreas zum ersten Mal geküsst hatte. Wie überrascht, als der kurz darauf praktisch über ihn herfiel. Wie oft hatten sie auf dem Bett miteinander gerangelt, bis einer von ihnen die Handgelenke des anderen zu fassen bekam und ihn auf die Matratze nagelte. Sie hatten so viel gelacht, waren sich so nah gewesen. Sascha hatte

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