Nach der Hölle links (German Edition)
Streichholz, ein Funke und sie würden alle miteinander hochgehen. Selbst Svenja war mittlerweile so gereizt, dass sie gestern einen Bottich voll frisch angerührter Haarfarbe an die Badezimmerwand geworfen hatte. Seitdem sahen die Fliesen über der Badewanne aus, als hätten sie ein Schwein geschlachtet.
Letztendlich ging es um Andreas. Es war immer um ihn gegangen, und jetzt mehr als je zuvor. Auch nach zwei Tagen krümmte sich Sascha innerlich unter dessen wütender Rede. Noch immer brannten die Vorwürfe sich durch seinen Körper und wurden von seinem gehässigen Selbst mit zustimmendem Nicken kommentiert.
So viel Einsamkeit, Hass und Leid. Das ganze Dasein ein Kampf gegen Windmühlen und vermutlich niemand, der ihm den Rücken stärkte. Sascha hatte nicht die Gelegenheit zu fragen, wie Andreas’ Alltag aussah. Gab es einen festen Freund? Gab es eine Clique oder wenigstens jemanden wie Isabell; eine beste Freundin? Was war mit seinen Eltern?
Sascha wusste nichts. Da hatte Andreas nicht unrecht. Er wusste viel zu wenig über ihn und mit Sicherheit nicht genug, um sich mitten in der Nacht betrunken aufzudrängen.
»Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll«, gab Sascha unvermittelt zu. »Als ich von Andreas nach Hause kam, war ich mir so verdammt sicher, was richtig ist und was nicht. Und jetzt stehe ich hier mit meiner tollen Entscheidung und habe keine Ahnung, wie ich sie umsetze.«
»Du willst ihn, nicht wahr?«, hakte Isabell nach. Ein Tropfen Milchschaum ging auf Reisen, als sich ihre Lippen hoben. »War damals schon echt verrückt mit euch. Ich weiß noch, wie verloren du durch die Gegend gelaufen bist, nachdem ihr euch getrennt hattet.«
»Getrennt? Das ist ja mal eine nette Umschreibung für das, was ich gemacht habe. Nennen wir das Kind beim Namen: Ich habe ihn sitzen lassen.«
»Ja, weil du heillos überfordert warst, ein Abi zu schreiben hattest und dich zeitgleich mit deiner Familie herumgeschlagen hast«, erinnerte Isabell ihn. »Ist ja nicht so, dass du ihn aus Spaß an der Freude hast fallen lassen oder hinterher damit glücklich gewesen wärst. Was ich aber eigentlich sagen wollte: Du warst ganz schön verknallt in ihn. Und bist es immer noch.«
Sie fragte nicht, sondern stellte fest. Sascha nahm es ihr nicht übel. Inzwischen gab er sich keine Mühe mehr, das Offensichtliche zu verbergen. Dennoch war es ihm unangenehm, die Wahrheit aus ihrem Mund zu hören. Denn wer liebte, stellte sich nicht so dämlich an, wie er es getan hatte. Und wer liebte, fing auch nichts mit einem anderen an, den er unweigerlich verletzen musste.
»Ach, keine Ahnung. Vielleicht. Vermutlich. Ja«, knurrte Sascha sich durch die verschiedenen Stufen eingeräumter Gefühle.
»Das ist doch gut, oder?« Ausnahmsweise wirkte Isabell eine Spur naiv, als sie Saschas Hand tätschelte. »Das ist alles, worauf es ankommt.«
Typisch Frau, dachte Sascha bei sich, hütete sich jedoch, den Gedanken laut auszusprechen. Stattdessen sagte er: »So würde ich das nicht nennen. Andreas will mich weder sehen noch will er mit mir reden. Er war da sehr deutlich. Nur weil ich in einem Zustand geistiger Umnachtung zu dem Schluss gekommen bin, dass ich ihn wiederhaben will, heißt das nicht, dass er mich will.«
Isabell schnaubte. Vermutlich dachte sie gerade: »Typisch Mann!«
»Was hast du denn erwartet? Dass er dich mit offenen Armen empfängt und sagt: Wurde ja auch Zeit?«
»Nein, natürlich nicht«, seufzte Sascha. Gute Frage, was hatte er erwartet? Das Problem war die gewaltige Schneise zwischen dem, was er sich wünschte, und dem, was die Realität hergab. »Ich habe gar nichts erwartet. Ich war viel zu breit, um Erwartungen zu haben.«
»In dem Moment vielleicht, aber vorher wirst du dir ja schon Gedanken gemacht haben, oder?«
Sascha zog es vor, nicht auf diese Frage einzugehen und rührte stattdessen ein weiteres Mal geschäftig seinen Cappuccino um. Als das Getränk über den Rand der Tasse zu schwappen drohte, murmelte er: »Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich kann schlecht vor seiner Tür zelten, oder? Und ich kann ihn nicht zwingen, sich mit mir zu treffen. Was bleibt denn da noch?«
»Schick ihm Blumen.«
»Blumen? Andreas?«, lachte Sascha – zum ersten Mal an diesem Tag amüsiert – auf. »Man merkt, dass du ihn nie getroffen hast. Der würde mich zum Arzt schicken, wenn ich ihm welkes Gemüse vor die Haustür lege.«
Isabell zog eine Schnute. »Das glaube ich nicht. Es geht doch um die Geste.« Sie
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