Nach der Hölle links (German Edition)
Papier.«
Sascha hatte Zweifel an dieser Theorie. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es für Andreas einen Unterschied machte, ob er einen gedruckten oder einen von Hand geschriebenen Brief in der Luft zerriss.
Dass es ihm nicht leicht fallen würde, seine Gedanken in Wort zu fassen, war ihm bewusst gewesen. Aber dass er wie ein Schuljunge vor dem Schreibtisch hockte, unfähig, einen geraden Satz hervorzubringen, damit hatte er nicht gerechnet.
Wie drückte man in klaren Sätzen aus, was sich über Jahre wie ein Amboss auf seinen Schultern angefühlt hatte? Wie formulierte man auf eine Weise, die verhinderte, dass der Empfänger des Briefes einen falsch verstand? Ob es arg blöd war, einen persönlichen Brief mit Smileys auszustatten, um zu verdeutlichen, was ein Scherz war und was nicht? Oder verzichtete man am besten ganz auf lockere Bemerkungen?
Wie schrieb man einem Mann, den man im Stich gelassen hatte und dem man bei zwei Treffen unabsichtlich, aber gründlich auf die Zehen gestiegen war? Wie überwand man einen Wall aus berechtigtem Zorn?
Gar nicht. Ein Teil von Sascha wollte kapitulieren oder zumindest dem Schicksal die Führung überlassen. Was er sich vorgenommen hatte, war schwierig und vermutlich fruchtlos. Daran konnte es keinen Zweifel geben. Denn was wollte er von Andreas? Alles. Die Wahrscheinlichkeit, dass er dieses Alles bekommen würde, war mikroskopisch winzig. Ganz abgesehen von allen Unwägbarkeiten und Missverständnissen standen drei Jahre zwischen ihnen, in denen sie sich stark verändert hatten.
Keiner wusste vom anderen, wie es um dessen innerstes Selbst bestellt war. Sascha wagte jedenfalls nicht zu sagen, ob er noch der Kerl von damals war. Er bezweifelte es.
Gerade, als er ein weiteres Mal den Briefbogen vom Block riss und ihn zu einer Kugel sinnlosen Geschwafels zusammenballte, klopfte es. In dem Wissen, dass Nils sich eher die Zunge abgebissen hätte, als ihn in diesen Tagen besuchen zu kommen, rief Sascha: »Komm rein, Svenja.«
Die Freundin sah auf eine Weise zerwühlt aus, die von einer feucht-fröhlichen Party sprach, bei der viel getanzt worden war. Svenjas Wangen glühten, und ihr Mascara hatte sich um ihre Augen verteilt, sodass sie an eine ägyptische Pharaonin erinnerte – oder an eine Nebelkrähe.
»Bist du immer noch dran?«, fragte sie überflüssigerweise und bahnte sich ihren Weg zu ihm. Umsichtig überstieg sie jeden einzelnen Papier-Schneeball, als fürchtete sie, dass Sascha am Ende die guten Passagen aus allen Briefen herausschneiden und anschließend zu einem Gesamtwerk zusammensetzen wollte.
Sascha warf den Kugelschreiber auf den Tisch und hob in einer Geste der Verzweiflung die Hände. »Ich komme nicht weiter. Egal, was ich schreibe. Alles klingt falsch.«
»Wie falsch?«
»Als ob ich um Andreas’ Vergebung betteln würde.«
Svenja runzelte die Stirn und lehnte sich an den Schreibtisch. Mit verschränkten Armen fragte sie: »Tust du das nicht auch irgendwie?«
Sascha schnaubte ungehalten. Ja, natürlich, aber es war mehr als das. Er wollte sich erklären dürfen. Er hielt es auch für wichtig, dass Andreas begriff, dass seine Eltern für die Kontaktsperre verantwortlich waren und eine Grenze überschritten hatten, die sie bei einem erwachsenen Kind respektieren mussten.
»Kannst du ihn mir nicht einfach einfangen? Mit einem Lasso oder so?«, stöhnte er theatralisch und ließ den Kopf auf die Tischplatte sinken. »Es wäre viel leichter, direkt mit ihm zu reden. Dann könnte ich sehen, wie er reagiert, und würde es merken, wenn er etwas in den falschen Hals bekommt.«
»Und vor allen Dingen wärst du dir sicher, dass die Message bei ihm ankommt.«
»Genau.«
Svenja lächelte traurig und rieb ihm freundschaftlich die Schulter. »Aber er will dich nicht sehen. Niemand weiß besser als du, dass man über so etwas nicht hinweggehen darf.« Sie kicherte plötzlich. Als sie sich zu Sascha hinabneigte, konnte er riechen, dass sie ausgiebig ihrer Cocktail-Leidenschaft gehuldigt hatte. Tat ihr gut, nachdem sie in letzter Zeit viele Federn zwischen Nils und ihm gelassen hatte. Sie duftete nach Kokosnuss und Kirschsaft. »Am Ende landest du noch als Stalker auf dem Tisch des Polizeipräsidenten.«
»Als ob der sich mit einem Fall von Stalking auseinandersetzen würde«, grinste Sascha halbherzig. »Und wenn, dann lande nicht ich da, sondern eine Akte.«
»Oh Gott«, lachte Svenja auf. »Sag doch nicht sowas. Ich denke in Bildern. Aber mal im Ernst:
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