Nach der Hölle links (German Edition)
dachte kurz nach. »Dann schick ihm etwas anderes. Ein Geschenk vielleicht. Etwas Persönliches, das ihm zeigt, wie gut du ihn kennst.«
»Ich kenne ihn vor allen Dingen so gut, dass ich weiß, wie wenig ihm Geschenke bedeuten. Andreas hat in seinem Leben unfassbar viele Geschenke und noch mehr Geld in die Hand gedrückt bekommen. Nein, auf keinen Fall. Man hat früher oft genug versucht, ihn zu kaufen«, wehrte Sascha augenblicklich ab.
Schwermütig erinnerte er sich an das Weihnachtsfest, das Andreas allein in der Villa verbracht hatte. Seine einzige Gesellschaft waren ein neuer Computer und eine Menge Bargeld gewesen, während seine Eltern im Urlaub waren. Er erinnerte sich an den Schmerz in Andreas’ Blick und seine Dankbarkeit, als Sascha ihm etwas viel Kostbareres schenkte: Zeit.
»Meine Güte, ihr seid aber auch kompliziert. Dann schreib ihm halt«, stöhnte Isabell und begann in ihrer Handtasche zu wühlen.
»Schrei-ben?«, wiederholte er.
»Ja, schreiben! Du weißt schon, man nimmt einen Stift und ein Blatt Papier oder von mir aus einen Meißel und einen Stein und dann …«
»Sehr witzig. Ich soll ihm einen Liebesbrief schreiben? Du spinnst wohl.«
Kopfschüttelnd beugte Isabell sich nach vorn und fasste Sascha ernst ins Auge. »Nun hör mir mal zu. Welche andere Wahl hast du denn bitte? Und ich habe nicht von einem Liebesbrief gesprochen. Erkläre ihm halt, was damals passiert ist und dass es dir schrecklich leidtut. Jeder, der dich kennt, weiß, dass du ihn vermisst. Mit einem Brief bedrängst du ihn auch nicht, denn er hat die Wahl, ob er ihn in den Müll wirft oder nicht. Du hast dich doch beklagt, dass du kaum zu Wort gekommen bist. Schreib es auf. Dann kommen auch keine plötzlichen Gefühlsausbrüche dazwischen.«
»Ach komm schon, Isa«, winselte Sascha und kam sich blöd vor. »Briefe schreiben. Das ist so …«
»Theatralisch? Doof? Unmännlich? 80er?«, bot sie ihm an. »Ist doch egal. Verdammt, in welchem Film heißt es noch: Du musst dich für sie auf dem Altar der Würde opfern?«
» Zehn Dinge, die ich an dir hasse «, murrte Sascha.
»Kann sein.« Sie tippte auf den Tisch, als wolle sie ihn mit dem Zeigefinger aufspießen. »Wichtig ist doch nur, dass es wahrscheinlich der einzige Weg ist, Kontakt aufzunehmen, ohne über sein ›Ich will dich nicht sehen‹ hinwegzugehen. Meine Güte, es sind doch nur ein paar Buchstaben.«
»Wenn ich aufschreiben soll, was damals alles passiert ist, sind das mehr als ein paar Buchstaben.«
»Willst du jetzt das Faultier heraushängen lassen?«, rief Isa aufgebracht. Die wachsende Ungeduld mit ihrem störrischen Freund war ihr deutlich anzusehen.
»Musst du gleich das ganze Café unterhalten?«, fragte Sascha peinlich berührt und mit betont leiser Stimme zurück.
»Ich kann noch viel lauter. Soll ich?«
»Hexe.«
»Rindvieh.«
Sie lachten kurz, aber zumindest auf Saschas Seite klang das Ergebnis recht trostlos. Briefe zu schreiben, lag ihm gar nicht. Er hatte sich als Kind sogar schwer getan, eine Urlaubspostkarte für die Großeltern auszufüllen. In Andreas’ Fall konnte er schließlich schlecht in übergroßen Buchstaben kritzeln: Hallo, Oma, hallo, Opa! Wie geht es euch? Mir geht es gut. Wir sind am Strand, das Wasser ist warm. Sascha.
Viel peinlicher ging es ja wohl nicht mehr. Doch Isabell hatte recht. Einen anderen Weg sah er ebenfalls nicht. Nur sein Stolz hielt ihn davon ab, sie um Hilfe zu bitten, statt langsam zu nicken und zu sagen: »Okay, ich versuche es.«
* * *
Die zerknüllten Blätter formierten sich um Saschas Schreibtisch wie überdimensionale Schneeflocken. Weiß und unschuldig ruhten sie auf dem Teppich und kamen nur dann in Bewegung, wenn er aufsprang oder sich ein weiteres Blatt zu ihnen gesellte. Das Licht der Schreibtischlampe versilberte die Linien des Schreibblocks. Seit Stunden war Saschas Welt auf das Papier fixiert; auf das Papier und den Kugelschreiber in seiner Hand, der zu allem Überfluss schmierte und seinen Zeigefinger befleckte. Die Nacht näherte sich ihrem Höhepunkt.
Vielleicht hätte er sich vorher überlegen sollen, was er schreiben sollte oder das Ganze zumindest auf dem Computer entwerfen, um es hinterher von Hand abzuschreiben. Isa hatte ihm geraten, sich keinesfalls zum Sklaven der modernen Technik zu machen.
»Handschriftlich macht mehr Mühe, und du solltest keine Gelegenheit auslassen zu zeigen, dass du dir Mühe gibst. Ein Brief ist viel persönlicher als ein Blatt ausgedrucktes
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